The GAP Disappointment

Ein Jahr ist es inzwischen her, dass ich in Bristol meine Zelte abgebrochen habe und wieder zurückgekehrt bin in die Stadt der gechillten Hasen. Inzwischen sind zwei meiner ehemaligen Kommilitonen mit ihrer Band Wilder bei dem Londoner Independent Label Rough Trade unter Vertrag, das schon Bands wie The Smiths und The Strokes hervorgebracht hat. Im Februar haben sie in New York ihr Debutalbum aufgenommen, darauf zwei Singles mit Videos veröffentlicht und touren seitdem unermüdlich durch England. Vor einer Woche hatten sie nun einen Gig in Bristol und zwar in dem Club, in dem immer unser Studium begleitende ‚Live Performance Workshop‘ stattfand. Ein Grund mehr also, ‚mal wieder nach Bristol zu fliegen und auch eine gute Gelegenheit, ehemalige Dozenten und Freunde zu treffen. Der Flug dorthin mit EasyJet war wieder mäßig bequem. Enge Sitze, schlechte Klimatisierung, überteuerte, belegte Brote und dicke Stewardessen in grellen, orangefarbenen Uniformen. Bis dahin war also alles wie gewohnt, nur dass diesmal zwei Sitze rechts von mir eine Frau saß, die den gesamten zweistündigen Flug über Witze erzählte, über die dann aber auch nur sie lachte. Zum Glück saß ich nicht direkt neben ihr, sondern hatte als Puffer ihren mittlerweile schon taub gewordenen Ehemann an meiner Seite.
Den Gig zu sehen, war nicht der einzige Grund, warum ich mir die EasyJet Tortur angetan habe. Ich wollte mich auch mit Loki, einem Freund, der mit mir zusammenstudiert hat und inzwischen als Promoter für einen bekannten Live Club in Bristol arbeitet, treffen, um an meinen Songtexten zu arbeiten. Und natürlich war auch wieder mein obligatorischer Gap Besuch miteingeplant. GAP, die Hochburg der coolen, amerikanischen Collegemode. Leider musste ich wieder feststellen, dass die Qualität der Sachen dort in den letzten Jahren konstant gesunken ist. Eigentlich ist Gap auch nur eine teure Version von H&M. Billige Jeans, langweilige Sweater mit dem wie immer übergroßen Gap Logo. Wo ich mich immer Frage, warum ich für einen Merchandise Artikel siebzig Euro ausgeben soll. Alles andere ist von den Farben und Schnitten ebenso unspannend. Ab und zu findet man ein cooles T-Shirt, aber das war es dann auch. Ansonsten bleibt es bei den Basics wie Boxershorts und Socken, aus denen dann letzten Endes auch meine Ausbeute bestand: drei Paar braune Baumwollsocken. Mittlerweile findet man eigentlich auch alle großen Bekleidungsketten in Berlin: American Appareil, All Saints, Muji. You name it. Der coole Shoppingzug ist seit der zunehmenden Globalisierung also schon lange abgefahren und der Reiz des Exotischen, für einen Einkaufsbummel nach England zu fliegen, gleich mit.
Am Abend des großen Gigs spielten vorher noch zwei Vorbands, so dass Wilder erst um einundzwanzig Uhr auf der Bühne waren. Der Club war nicht ausverkauft, aber dafür gefüllt mit vielen jungen Mädchen, die sicherlich vor allem da waren, um Jay, den knuddeligen Keyboarder, zu sehen, der auch jederzeit als Model für Fred Perry durchgehen würde. Der Auftritt war sehr professionell. Man konnte sofort merken, dass ihre Manager in den letzten Monaten viel mit ihnen gearbeitet hatten. Sie waren beide auch wieder vor Ort. Cliff übernahm ein Teil der Livemischung und erntete dabei oft skeptische Blicke des Haustontechnikers, der sich offensichtlich in seiner Kompetenz übergangen fühlte. Richard stand mit uns anderen im Publikum und verfolgte aufmerksam die Show seiner jungen Protegés. Beide sind auch ehemalige Dozenten von mir. Cliff kommt aus der journalistischen Ecke, produziert und schreibt vor allem für das Fernsehen. Richard ist ein klassischer Songwriter, der u.a. mit Dido gearbeitet und Duffy zu ihrem Plattenvertrag verholfen hat. Beide haben jetzt also ein neues und zum ersten Mal gemeinsames Projekt: Wilder. Der Gig war erstaunlicherweise nach nur knapp vierzig Minuten Spielzeit schon vorbei und das, obwohl sie an dem Abend die Hauptband waren. Loki erklärte mir daraufhin, dass in England die Support Bands in der Regel ein dreißig Minuten Slot bekommen und die Headliner zwischen vierzig und sechzig Minuten spielen. Die Show war wie schon gesagt sehr professionell. Der Look und der Style der Band stimmte. Angefangen von den Frisuren, den Klamotten bis hin zu der Auswahl der Instrumente war das Image einer Indie Elektro Band überall manifestiert. Nur die Songs waren bis auf die beiden Singles nicht sehr ausgereift. Sie wirkten teilweise wie instrumentale Jam Tracks, zu denen Gitarrenakkorde geschraddelt und wahllos irgendwelche Texte ins Mikrofon gebrüllt wurden. So kam an dem Abend auch der Grundvibe der Band ‚rüber: Vier coole, gestylte Kinder, bei denen die Kosmetik stimmt, aber die musikalische Basis fehlt, da sie sich als Band überhaupt noch nicht gefunden haben. Was schade ist, da ich die Lieder von Sam, dem Frontman der Band, immer sehr mochte. Nur diese gingen anfangs eher in Richtung Singer/Songwriter Pop und waren wohl selbst für ein Indie Label wie Rough Trade nicht kommerziell genug. Es hat den Anschein, dass Wilder in den letzten zwölf Monaten sehr übereilt in die Elektroecke produziert wurden, anstelle mit ihnen an ihrem Potenzial zu arbeiten und sie eine eigene Musikrichtung finden zu lassen. Stattdessen wurden sie nach nur sechs Monaten Livespielen unter Vertrag genommen und ins Studio gekarrt.
Cliff hat uns während unseres Studiums immer zwei Grundregeln nahegelegt. Die eine war: Topline always comes first. In Bezug auf das Songschreiben heißt das, dass man eben nicht entlang einer Akkordverbindung summen soll, sondern zuerst eine Melodie im Kopf haben sollte, bevor man einen Song schreibt. Und die andere war: Don’t go out there unless you are ready. Was so viel bedeutet wie: Finde erst deinen eigenen Stil und dein Image, bevor du dich auf das professionelle Terrain bewegst. Beide Regeln wurden bei seinem neuen Projekt anscheinend komplett übergangen. Das liegt vielleicht daran, dass Wilder von Rough Trade einen Vorschuss in Höhe einer sechsstelligen Summe bekommen haben und ihre beiden Manager, gekoppelt an einen 10-Jahres-Vertrag, davon gleich fünfzig Prozent eingestrichen haben. In der Praxis ist sich anscheinend wohl jeder erst ‚mal der Nächste und übergeht so auch gern seine Prinzipien. Ich hoffe nur für Wilder, dass sie ihre gegebene, wenn auch manipulierte, Chance in den nächsten Jahren nutzen werden, um sich aus sich heraus weiterzuentwickeln und bald ihren eigenen Stil finden werden.

Hier ein Link zu ihrem aktuellen Video ‚Skyful of Rainbows‘: http://www.youtube.com/watch?v=4IJlaZ4fUGE