Modern Exploitation

Ich schlage mich nun schon seit gut zwölf Jahren als Promoter durchs Leben. Es ist trotz Euroumstellung immernoch ein lukrativer Job, gerade wenn einem Freiheit und vor allem freie Zeit wichtig ist. Mittlerweile habe ich in Berlin eigentlich schon fast in jedem Media-Saturn Markt gearbeitet und bin jetzt seit knapp zwei Jahren im Saturn in Steglitz als Promoter für Samsung Digitalkameras tätig. Kein wirklich sympathischer Markt. Anstrengend und nervig. Die soziale Kompetenz sowohl des Markt- als auch des Verkaufsleiters ist erbärmlich. Wieder zwei Proleten, die die Karriereleiter hochgestolpert sind. Das habe ich schon oft erlebt. Wenn die menschliche Größe fehlt, wird oft das Programm Einschüchterung und Abmahnung gelebt. Das hat zur Folge, dass das Arbeitsklima im Markt total krampfig ist, da niemand, dem anderen traut und alle nur bemüht sind, nicht aufzufallen. Der Markt ist also nicht wirklich beliebt und genießt auch im gesamten Media-Saturn Verbund keinen guten Ruf. Von den Auszubildenden wird er nur liebevoll ‚Survival Camp‘ genannt. Diese lassen sich dann nach ihrer zweijährigen Knechtschaft auch sofort versetzen. Die beiden studentischen Aushilfskräfte, die in den letzten sechs Monaten in der Fotoabteilung beschäftigt waren, haben inzwischen gekündigt. Selbst die neue Verkäuferin, die letzte Woche zwei Tage zur Probe da war, hat sich am zweiten Tag krank gemeldet. Für alle Promotoren und Promotionagenturen ist der Saturn in Steglitz ein rotes Tuch, da einfach keiner dort freiwillig arbeiten will. Die Festangestellten stehen unter konstantem Umsatzdruck und werden, wenn sie ihre Ziele nicht erfüllen, zur Strafe an die Kasse versetzt. Bei Krankschreibungen muss der Betriebsarzt konsultiert werden, da ansonsten mit Kündigung gedroht wird. So sind eigentlich alle festen Mitarbeiter frustriert und haben nur ein Lächeln auf den Lippen, wenn sie sich zum Wochenende hin ausstempeln oder Aussicht auf eine neue Stellenbewerbung im Metroverbund haben. Ein trauriges, leeres Leben und das für nur €1100,- netto im Monat. Die Abteilungsleiter haben in der Regel sogar eine 50-Stunden Woche und tragen dazu die komplette Verantwortung, dabei verdienen sie auch nur ein paar Euro mehr als die regulären Verkäufer. Das Freakdasein ist da also vorprogrammiert und das Sozialleben eigentlich nicht mehr existent. Das sind oft die Leute, die selbst an ihrem freien Tag in den Markt kommen, um dort ‚mal kurz ‚Hallo‘ zu sagen. Das Media-Saturn Imperium ist eine moderne Art des Sklavenhandels. Es gibt keine Gewerkschaften mehr, kaum noch unbefristete Arbeitsverträge, Provisionen für die Angestellten (wie noch zu Karstadt Zeiten) fallen weg. Im Gegenzug gibt es unbezahlte Überstunden, massive Kontrolle durch Videokameraüberwachung und eine ständige Unterbesetzung der Abteilungen. Der Angestellte ist inzwischen von einer respektierten Arbeitskraft zu einem ungewollten Kostenfaktor geworden, der ausgepresst wird bis aufs Blut. Die meisten kündigen daher bis Ende dreißig oder werden geschickt aus ihrem Vertrag herauskomplimentiert. So wird man in den Metro Märkten kaum Verkäufer finden, die über fünfzig sind. Mit anderen Worten: Kapitalismus in seiner Reinstform. Dafür eröffnen jedes Jahr neue Märkte und die Expansion auch innerhalb Europas kennt scheinbar keine Grenzen. Erst vor kurzem wurde in Moskau der dritte Metro Holding Markt errichtet. Ich bin mir sicher, dass das Konzept dort so gut funktioniert, weil die Russen in ihrer jahrhundertelangen Geschichte das unterjocht und ausgebeutet werden schon gewohnt sind.
Otto Beisheim hortet also weiterhin seine Milliarden und kann seiner Frau Inge vielleicht bald noch ein zweites Denkmal setzen, das das €463 Millionen teure Beisheim Center am Potsdamer Platz erscheinen lassen wird wie einen sozialen Wohnungsbau in Lichtenberg. Der Media-Saturn Verbund ist somit auch ein Teil des Franchise Monsters, das sich mit seinen steril-gemütlichen Shopping Centern in den letzten zehn Jahren den individuellen Einzelhandel einverleibt hat. Da die Gier und der Geiz der Menschen aber keine Grenzen kennt, ist inzwischen ein weiteres, viel größeres Monster kreiert worden, nämlich der Online-Handel. Dieser wird sicherlich auch bald den Metro Riesen, wenn auch nur teilweise, in die Knie zwingen. Wenigstens eine kleine, ausgleichende Gerechtigkeit und mit dem zunehmenden Smart Phone Boom wieder ein weiterer Schritt zum totalen Autismus der Gesellschaft.