Why Be a By-Stander?

Inzwischen hat die Schweinegrippe auch Bristol erreicht. Letzte Woche wurde deshalb sogar ein gesamte Schule geschlossen. Scheinegrippe. Eigentlich ein schöner Euphemismus. Schweine Todesvirus wäre wohl passender. Jetzt fühlt sich die Menschheit wieder als Opfer der Tierwelt. Wenn ich mir aber so die Massentierhaltung angucke, in denen besonders Schweine zu Tode gemästet werden, ist es wohl kein Wunder, dass diese irgendwann einmal ihren Tribut zollen. Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten und einzigen Besuch in einer solcher Massenställe. Es war in Hohenholz, einem kleinem Dorf in Mecklenburg-Vorpommern, in dem meine Eltern zu Ostzeiten ein Landhaus hatten, bevor es dann mein Vater verschenkt hat, als wir in den Westen gingen – und da ging sie hin meine Rente. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch begeisterter Fleischesser, doch der Appetit auf Schnitzel verging mir ziemlich schnell, als ich die zwei Quadratmeter großen Ställe sah, in denen die Schweine eingefärcht waren. Sie konnten sich nicht einmal um die eigene Achse drehen. Nur stehen oder liegen und mussten ständig fressen. Teilweise waren die Stahltüren so eng, dass ihre Speckschwarten durch die Gitter gepresst waren. Dazu kam noch der süßliche Geruch aus Fäkalien, Schweiß und Todesangst. Ein schönes Leben. Über Jahre bei Kunstlicht und stickiger Luft eingequetscht sein, um letztlich mit einem Bolzenschussgerät hingerichtet zu werden. Ich glaube, dagegen ist die Einzelhaft in Guantanamo Bay wie ein All-Inclusive Urlaub in der Karibik.
Meine Uni läuft weiter und ich habe für den letzten Block entschlossen, nur die Kurse zu besuchen, die mich interessieren. In den ersten zwei Blöcken waren ich noch offener und habe mich wirklich auf den Unterricht gefreut. Doch jetzt ist mir klar geworden, dass hier jeder nur seine eigene Agenda verfolgt und niemand interessiert ist, in irgendeiner Form Freundschaften zu schließen. So mache ich zum ersten Mal in meinem Leben die Erfahrung wirklich draußen zu sein. Selbst die Engländer in meinem Kurs, die in keiner Clique sind, haben zumindest ihre Familien und Freunde in Bristol. Der einzige, der meine Situation teilt, ist Hugo, der Franzose aus Lille. Sim hat sich jetzt für ein Fernstudium entschieden. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es er es nicht zu Ende studieren wird. Es wirkt auf mich eher wie ein Alibistudium für seine Eltern. Ein Fernstudium verlangt vor allem eins und das ist Disziplin. Wenn ich mir aber seine nächtelangen Playstationsessions und Fernsehabende angucke, sehe ich da erst eimal wenig Licht am Ende des dunklen Tunnels.
Meine Einzeltutorien mit meinen Lieblingsdozenten halten mich weiter bei der Stange. Kieron ist eher wie ein musikbegeisterter Freund und Cliff mein Mentor. Gerade letzte Woche hat er mir wieder ein paar Weisheiten mit auf den Weg mitgegeben. Sätze wie “Being successful in the music industry is not talent based. It’s about the hours you put in.“ habe ich inzwischen ausgedruckt und an meine Schranktür geklebt. Und als ich ihm sagte, dass ich mir nicht sicher bin, ob Songwriting meine Bestimmung in diesem Leben ist, dass es doch nur aurale Masturbation ist, meinte er nur: “The world is fucked up anyway. So why not be in it instead of being a by-stander!“
Heute habe ich meinen Flug nach Neu Delhi im Sommer gebucht. Ich werde mit Air France direkt von Bristol aus fliegen und jeweils einen Zwischenstopp in Paris haben. Was mir heute wieder aufgefallen ist, dass die Broschüren der Reiseunternehmen immer noch mit den gleichen verzerrten Cliché Bildern arbeiten, um die Leute in die Ferne zu locken. Auf dem Australien Katalog ist ein Aborigine in Kriegsbemalung mit Pfeil und Bogen abgelichtet. Wirklichkeitsnaher wäre ein dicker, alter, versoffener Aborigine, der bettelnd vor einem Großsupermarkt steht. Am Donnerstag hatten wir wieder unseren Live Performance Workshop. Als ich danach zu meinem Fahrrad ging, fehlte mein Vorderrad. Zum Glück kam Amjad vorbei und sagte mir, dass der Hausmeister das Rad abmontiert hatte, um zu zeigen, dass es leichtsinnig ist, sein Fahrrad mit Schnellspannern unangeschlossen zu lassen. Nur hatte er keine Nachricht hinterlassen, so dass ich mir beinahe ein neues Vorderrad gekauft hätte, wenn man mir nicht Bescheid gegeben hätte. Von dem ganzen Stress ganz abgesehen. Als ich den Hausmeister daraufhin aufsuchte und ihm sagte, dass es ihn nichts angeht, wo und wie ich mein Fahrrad anschließe, fing er an, mich übel zu beschimpfen. Zum Glück ist mein Englisch nicht so gut, dass ich seine ganzen Beleidigungen nur erahnen konnte. Ich musste danach noch extra zu einem Fahrradladen fahren, da er beim Abmontieren meine kompletten Vorderbremse verbogen hatte. Diese Welt. Voller leerer Existenzen.