Five Points For Germany

An diesem Wochenende war Ralf, ein alter Schulfreund von Filipe, einem guten Freund von mir, zu Gast in der Stadt der Hasen. Der Plan war es, ihm ein möglichst volles Programm zu bieten. So ging es am Freitagabend gleich auf eine Geburtstagsparty von einer Freundin Filipes. Sie feierte im Cake Club, eine zur Zeit sehr angesagte Bar in Kreuzberg. Als wir dort ankamen, war schon viel los. Der schlauchförmige Club, der hundert Quadratmeter nicht wirklich übersteigt, war brechend voll. Die Leute tanzten, tranken und rauchten. Jeder war in seinem Element. Die Tresenkräfte wuselten in höflicher Hektik herum und die DJs waren wieder cooler als die Musik, die sie auflegten. Wir merkten schnell, dass wir die dreißig schon weit überschritten haben, als sich fortlaufend junge Mädchen an uns vorbeischlängelten und uns dabei nicht allzu vieler Blicke würdigten. Da der Rauch in der eh schon sehr kleinen Bar nur begrenzt zu ertragen war, zogen Ralf und ich in regelmäßigen Abständen nach draußen auf die Straße, während Filipe drinnen auf Telefonnummernjagd war. Es war ein schöner Abend, nur als ich dann später wieder alle meine Sachen in die Waschmaschine stopfen musste, da sie unerträglich nach Zigarettenrauch stanken, war mir klar, dass mein nächster Clubbesuch doch erst ‚mal wieder in weiter Ferne liegen würde. Am Samstag blieben wir im Kreuzberger Barrio. Diesmal ging es ins ‚Lone Star‘, einem mexikanischen Burgerrestaurant in der Bergmannstraße. Ein beliebter Ort für junge Leute, um sich zu treffen und ein wenig zu stärken, bevor dann die langen Clubnächte rufen. Unsere Bedienung hatte den Charme nicht gerade gepachtet und blieb auch von Ralfs und Filipes Versuchen, auf fließend spanisch eine Ebene herzustellen, ziemlich unberührt. Wie Filipe dann gleich wieder etwas theatralisch auf den Punkt brachte. ‚Von zehn Türkinnen, die du triffst, ist eine nicht kompliziert und von zehn Latinas, findet man nicht eine, die nicht kompliziert ist.‘
Den restlichen Abend verbrachten wir in einem der vielen Cafés im oberen Teil des Mehringdamms. Wie eigentlich überall an dem Abend lief dort auf einem großen Fernseher der European Song Contest, der mir wieder vorkam, wie der Superbowl der Schlagerbranche. Ein jährliches, Medien propagiertes Ereignis der Musikindustrie mit Millionen von Zuschauern, das mit gutem Songschreiben nicht wirklich viel zu tun hat. Die meisten Acts wirken schnell zusammengecastet. Alternde Studiomusiker, die sich ein paar junge Künstler engagieren, mit dem Versuch noch ‚mal richtig abzukassieren, bevor es dann in den erhofften, bequemen Ruhestand geht. Im Endeffekt der ultimative, musikalische Kommerz und der totale Ausverkauf des authentischen Musizierens. Der ganze Lena Hype ging mir schon beim letzten Grandprix ganz schön auf den Sack und war in den letzten Tagen auch wieder kaum zu ertragen. Mir ist es auch bis heute nicht klar, wie sie mit ihrem gestellten ‚Kate Nash‘ Akzent gewinnen konnte. Die Einzigen, die die Peinlichkeit anscheinend erkannt hatten, waren die Engländer, von denen es dafür auch nur vier Punkte gab. Der Sieg wirkte für mich damals wie ein Schulterklopfen der europäischen Nachbarstaaten, dafür dass Deutschland seit zehn Jahren die komplette Währungsreform trägt und hatte nicht viel zu tun mit Lenas jugendlichen Elan.
Am Sonntagvormittag stand noch der legendäre Brunch im Café ‘Morgenland’ auf unserem Programm. Für nur knapp zehn Euro kann man dort bis in den Nachmittag hinein den kulinarischen Genüsse der mediterranen Küche frönen. Gerade Vegetarier haben in dem gemütlichen Café in der Skalitzer Straße immer eine große Auswahl an frischen Salaten, wobei die hauchdünnen Crèpes immer den absoluten Höhepunkt darstellen. Ob nur einfach mit Zimt oder mit Quark und Obststücken, man ist eigentlich immer verführt, mehr zu essen, als man verträgt. Als wir dort so gegen Mittag eintrafen, war das Buffet schon reichlich geplündert. Man konnte sich im kleinen Servierraum vor der Küche kaum noch bewegen, da alle wieder um die Wette hamsterten. Gierige Blicke, übervolle Teller und drängelnde Ellbogen erinnerten mich wieder daran, dass der Mensch trotz aller technischer Innovationen in all den Jahrhunderten seinem Urtrieb treu geblieben ist. Die Bedienungen waren sichtlich überfordert und der Koch, der minütlich Berge von Essen herbeizauberte, die dann aber ebenso schnell wieder in den gierig greifenden Händen verschwanden, war auch schon lange an seine körperlichen Grenzen angelangt. Zum Glück hatten wir uns einen Platz draußen ergattert, so dass wir immer etwas Abstand vom klaustrophobischen Gedränge hatten.
Es war ein sehr schönes, intensives Wochenende. Jetzt bin ich schon wieder in meinem Alltagstrott. Ein regnerischer Montag gefüllt mit vielen unsäglichen Pflichten. Ich hadere immer noch mit mir und bin mir nicht so sicher, ob ich bald wieder ins Ausland gehen oder mir nun doch endlich eine eigene Wohnung suchen soll. Fuß zu fassen, fällt mir immer noch sehr schwer. Die letzten Jahre waren auch nur ein stetiger Aufschub dessen. Einer meiner letzten großen Illusionen, die ich noch nicht aufgeben will: Dass ich irgendwann einen Zustand der Glückseligkeit erreiche, von dem es dann nur noch bergauf geht. Nur scheint der alltägliche Kampf so schnell nicht aufzuhören. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich immer noch auf der Suche bin und meinen Platz in dieser Welt noch nicht gefunden habe. Meine Songwritingseminare haben ich erst ‘mal aufgegeben und auch mein Bandprojekt ist aufgelöst. Wieder ein weiterer Schritt aus meiner verklärten Traumwelt, die mich über so viele Jahre am Leben gehalten hat. Ich muss in solchen Momenten dann immer an das Zitat von John Lennon denken. ‘Life is what happens to you while you are busy making other plans.’ In düsteren Momenten denke ich dann aber auch oft an das Zitat aus der amerikanischen TV-Serie The Wire. ‘A life, Jimmy. You know what that is? It’s the shit that happens while you are waiting for the moments that never come.’