Facing The Music

Seit einer Woche bin ich nun schon wieder im Studio und mische meine Songs. Die letzte Phase des endgültigen Hose-Herunterlassens. Natürlich weichen mir da auch nicht meine Perfektionsdämonen von der Seite und so bekomme ich gerade auch nicht viel Schlaf, weil mir oft noch tagelang mögliche Verbesserungen durch den Kopf gehen. Dann gibt es wiederum auch sehr erfüllende Momente. Es bleibt also ein Wechselbad der Gefühle. Zwischen absoluter Begeisterung, wenn ein Lied durch seinen Mix meine Erwartungen sogar noch übertrifft und totaler Verunsicherung, wenn Teile eines Songs, mich nicht wirklich überzeugen und ich nicht weiß, ob es am Arrangement oder am Mix liegt und der Song in dann in Minuten von einer Single zu einer B-Side wird. Wie die Red Hot Chili Peppers schon sangen: ‚Music is my aeroplane, pleasures fight with pain.‘ Letzten Endes bleibt die Lektion aber immer die gleiche: Lernen loszulassen und zu begreifen, dass nichts im Leben perfekt ist. Auch nicht in der Kunst.
Mein Team ist super. Andi, der Mixer macht einen wirklich guten Job und versucht jedem Lied eine eigene Note zu geben. Zudem mischt er auch noch analog, d.h. dass jeder Mix im Moment gemischt wird und so einzigartig und irreversibel ist. Das passt vom Sound her auch sehr gut zu dem Ansatz meines Albums, nämlich dem einer Band Live Performance, schließt aber auch gleichzeitig wieder einige Hintertüren des Weiteraufschiebens. Clemens, mein Produzent, der in dem letzten Jahr auch zu meinem Mentor geworden ist und eigentlich zusätzlich zu seinem Produzentensatz auch ein Therapeutenhonorar in Rechnung stellen könnte, unterstützt mich weiterhin tatkräftig. Fünf Songs sind jetzt schon abgemischt und mir steht bestimmt noch eine spannende Zeit bevor.
Mein Vertrag mit Casio wurde nicht verlängert, weil die Umsätze des vergangenen Jahres nicht hoch genug waren und das, obwohl der Außendienst und meine Agentur mit meiner Arbeit sehr zufrieden waren. Aber letzten Endes wiegt dann anscheinend die Meinung von irgendwelchen Zahlendrehern in der Führungsetage immer mehr als die Einschätzung der Basis. An meinem letzten Arbeitstag war ich noch mit ein paar Kollegen im Münchner Hofbräuhaus am Alexanderplatz. Es war schon ein sehr surrealer Anblick: Ein urbayrisches Lokal inmitten spätsozialistischer Architektur. Das Essen war durchschnittlich und überschaubar, die Preise dafür aber die einer Touristenfalle angepasst, da man für ein dünnes Wiener Schnitzel mit ein paar spärlich gesäten Bratkartoffeln fünfzehn Euro hinlegen muss. Die Kellnerinnen hatten nicht unbedingt den Charme eines bayerischen Madls gepachtet, sondern wirkten in ihren schmächtigen Dekolleteés und strengen Mündern doch eher etwas preußisch. Aber sie gaben sich Mühe und es war auf jeden Fall gemütlich in der großen Bierhalle zu sitzen und zu sehen wie sich meine Kollegen in ihrer Mittagspause eine Maß Bier bestellten. Wer also in Zukunft Gäste aus dem Ausland zu Besuch hat, kann jetzt dort gleich den obligatorischen Gang ins Münchener Hofbräuhaus mit abhaken.
Kurz nachdem ich von meiner Agentur erfahren hatte, dass mein Job für Casio nicht weiterläuft, habe ich ein Angebot vom Kamerahersteller Ricoh erhalten, eine Dauerpromotion im Media Markt Potsdam zu machen. Was zuerst aussah wie eine schöne Fügung, wirkt jetzt eher wie ein Scheideweg in meinem Leben. Meine ersten zwei Einsatztage dort waren ziemlich unentspannt, da ich wieder von lauter ängstlichen Schlümpfen umgeben war, die mich die gesamte Zeit komplett ignoriert haben. Das kann bei zehn Quadratmetern Verkaufsfläche schon ganz schön den Wohlfühlfaktor eindämmen. Aus diesem Grund werde ich die Promotion dort auch nicht weitermachen. Jetzt stellt sich mir wieder die Frage, ob ich nicht vielleicht eine andere Art des Broterwerbs anvisieren sollte, da ich immer mehr merke, dass ich mit sechsunddreißig doch langsam zu alt bin für diesen Job. Manchmal wünschte ich mir, ich hätte einen reichen Mäzen an meiner Seite, der mir hin und wieder ein paar tausend Euro zuschieben würde. Denn selbst wenn die Aufnahmen und das Mischen erst ‚mal bezahlt sind, folgen auf jeden Fall noch die Kosten für das Mastern, die CD-Pressung und für Videos.
Jetzt bin ich also wieder ohne Job, während die Kosten für die Aufnahmen meines Albums weiter in die Höhe schießen. Es bleibt also spannend, das Drachenjahr 2012, in dem gleich zu Beginn wieder mein Optimismus auf die Probe gestellt wird.