Out of the Matrix

2015. Neues Jahr. Neues Glück. So schien es. Die ewige Glückseligkeit und die Millionen stehen aber irgendwie immer noch aus. Auch mit Ende dreißig. Mit meinem Album habe ich im letzten Jahr knapp fünfzig Euro verdient, nicht dazugerechnet die zwei Euro an Gemagebühren. Wobei ich mir da auch nicht so sicher bin, ob das einfache ein Standardpauschale ist oder zwei Käufer aus Versehen anstelle den neuen Taylor Swift oder Miley Cyrus Song herunterzuladen auf meine iTunes Seite gekommen sind. Ich weiß auch nicht, was schwerer zu verkraften ist, dass ich fünf Jahre meines Lebens und insgesamt über dreißigtausend Euro in meinen Traum investiert habe oder dass ich nur sehr wenig an Feedback zurückbekommen habe. So gut wie keine Downloads und ein paar verkaufte Exemplare im Bekannten- und Freundeskreis zählen da nicht wirklich. Ein große Reaktion gab es auch nicht. Selbst meine beiden Videos haben zusammen nicht mehr als dreihundert Klicks bei YouTube bekommen. Man macht Kunst dann wohl in erster Line erst ‚mal für sich. Alles andere ist ein schönes Zubrot. Feedback und Dankbarkeit bekomme ich an einem frequentierten Promotiontag auf jeden Fall mehr. Das ist vielleicht auch der Grund, warum so wenige die freiberufliche, künstlerische Laufbahn wählen und dem ein strukturiertes Leben vorziehen. Es kann schon ein sehr zäher und kräftezehrender Weg sein, sich immer aufs Neue selbst zu motivieren und über Jahre keine wirkliche Bestätigung zu bekommen.
Mein Plan, bald in eine größere Wohnung zu ziehen, wird dafür aber vielleicht bald Wirklichkeit. Es sind dann zwar nur 10 qm mehr, aber immerhin im Prenzlauer Berg. Also mitten im Leben. Rückblickend war es ein gute Zeit. Die Jahre, in denen ich mein Ebaykarma ausgesessen habe und gelernt habe, die einfachen Dinge im Leben wieder mehr zu schätzen. Ob nun fließend warmes Wasser, um meinen Abwasch zu machen oder genügend Platz, ein Bett und ein Sofa in meiner Wohnung zu haben. Am meisten werde ich wohl die Nähe zu meinen zwei ältesten Schulfreunden vermissen, die nur wenige Minuten Fußweg entfernt wohnen und natürlich den französischen Bäcker Au Delices Normands, der mit seiner traditionellen Backkunst ein angenehmes Gegengewicht zu den immer mehr verbreitenden Backautomaten in den Supermärkten darstellt. Ein letzte Bastion des guten Geschmacks und einer Lebensqualität, die in unserer schnelllebigen Zeit kontinuierlich weniger wird. Meine all abendlichen Einkäufe in meinem Kaisers Markt kann ich wahrscheinlich auch in meinem neuen Bezirk fortführen, auch wenn dann Tabea, die junge Studentin an der Kasse, nicht mehr da sein wird, die mit ihrem jugendlichen Babevibe für viele Abende meine Hoffnung am Leben gehalten hat, dass es immer noch Frauen gibt, bei denen man die Welt um sicher herum vergisst.
Weniger werde ich wohl das tägliche, penetrante Glockengeläute der bigotten Kirchengemeinde direkt neben meinem Haus vermissen, die anscheinend in irgendeiner anachronistischen Zeitblase gefangen ist und glaubt, dass sie das Recht habe, anderen ihre Glaubensrituale aufzudrücken. Immer nach dem Motto: Wenn sie nicht Teil unserer Gemeinde sind, selbst schuld.
Ansonsten platzen meine Illusionen weiterhin an allen Ecken und Enden und es sieht so aus, dass mein Masterplan, mit meinem ersten Album so viel Geld zu machen, dass ich mein eigene Geschäftsidee verwirklichen kann und den Rest der Zeit, einfach durch die Welt reisen kann, nicht so wirklich aufgeht. Stattdessen bin ich immer noch als Promoter im Einsatz und merke zudem, dass die gut bezahlten Jobs in der Branche jedes Jahr weniger werden. So sage ich immer mehr Jobs ab, in der Hoffnung, dass sich endlich eine andere Tür für mich öffnet und ich langsam meinen Absprung aus diesem Lebensabschnitt finde. Die neue Wohnung ist immerhin schon ‘mal ein Anfang. Dazu kommt, dass ich jetzt fast täglich mein Handbuch verkaufe, so dass mit der geplanten zweiten Auflage und einer englischen Version dessen, meinem Plan, längerfristig ein passives Einkommen zu generieren und auch Workshops zu dem Thema zu geben, nicht mehr viel im Weg steht. Gerade jetzt, wo mein Bandprojekt immer noch kein Geld einbringt und weiterhin ein teures Hobby bleibt. Aber die Zeit dafür wird auch noch kommen. Immerhin haben wir jetzt schon ein 90-minütiges Liveset und arbeiten ständig an unserem Sound und unserer Bühnenpräsens.
Trotz all meiner kleinen Erfolge stehe ich gerade vor einem ziemlich großen, schwarzen Loch und komme mir dabei ein wenig vor, wie langsam aus der Matrix katapultiert zu werden. Ich gucke immer weniger Serien und Filme und merke täglich, dass man sich doch alles im Leben erarbeiten muss. Dinge können sich zwar fügen, aber dennoch muss man dafür vorbereitet sein. Wo wir wieder bei der Arbeit sind. Für einen eher ängstlichen, introvertierten Hasen, der lieber den ganzen Tag Müsli essend vor dem Rechner sitzt, surft und seine Lieblingsserien guckt als sich dem harten Leben zu stellen, nicht die erfüllendste Aussicht. Dazu noch der jüngste von mehreren Geschwistern zu sein, auch wenn sie nie das Licht der Welt erblickt haben, mit all den unerfüllten Wünschen und Hoffnungen seiner Eltern vollgestopft worden zu sein, war der Selbstfindung sicherlich auch nicht besonders zuträglich. Aber die Zeiten des Beschwerens und der Opferrolle sind vorbei. Ich habe mir halt viele Jahre in die eigene Tasche gelogen und mich zu lange mit zu überzogenen Erwartungen abgelenkt. So sehe ich das Leben inzwischen viel realistischer als noch vor ein paar Jahren. Die Welt ist dadurch zwar nicht mehr so bunt wie vorher, dafür aber greifbarer geworden.