Der Sommer ist schon wieder vorüber und wie jedes Jahr, merke ich, dass die Zeit im zunehmenden Alter immer schneller vergeht. Bisher war es kein wirklich ruhiges Jahr, aber das hat Veränderung wohl so an sich, wie man auch im chinesischen Jahr der Schlange vermuten würde. Wie so oft sehe ich auch nur wieder die Dinge, die ich noch nicht erreicht und denke, dass alles schneller gehen könnte. Wenn ich aber ‘mal neutral zurückblicke, ist schon viel passiert in vergangenen neun Monaten. Ich bin mit einem blauen Auge aus der Klage der Verlage herausgekommen, habe inzwischen eine eigene Wohnung (wenn auch überschaubar) und bin kurz davor, mein Album in die Pressung zu geben. Es klingt also alles sehr vielversprechend, dennoch bin ich wieder überrascht wie schnell das Jahr vorbeigezogen ist. Ein Indiz dafür, sind die Herbstserien, die jetzt wieder anfangen und neben meinem Job eigentlich das einzig Konstante sind in meinem Leben.
Mein eh schon sehr stressiger und mit Promotion gefüllter Sommer hatte seinen Höhepunkt zur jährlichen IFA und der damit verbundenen Marketingkampagne meines derzeitigen Arbeitgebers Samsung. Um einen möglichst guten Eindruck bei den koreanischen Geschäftsführer zu machen, wird von meiner Agentur jedes Jahr zwei Wochen vorher eine gigantische Marketingaktion gestartet, die alle Beteiligten im Karree laufen lässt. Da werden dann komplett neue Präsentationsflächen angefertigt, Putzpersonal wird engagiert, das bei sämtlichen Geräten minutiös den Staub entfernt und die Märkte werden mit Prospekten und Werbeaufstellern überschüttet. Alles nur, um das jährliche, zweistellige Millionbudget zu rechtfertigen und natürlich in letzter Konsequenz den Auftrag zu behalten. Ob das Bild, welches dort in den Wochen vor der IFA geschaffen wird, etwas mit der Wirklichkeit zu tun hat und auch nachhaltig ist, ist dabei erst ‘mal zweitrangig.
Der ganze Irrsinn endete sogar damit, dass Samsung im Saturn am Tauentzien inzwischen eine eigene Barista Bar besitzt, die allerdings eher an einen dystopischen Science Fiction Roman erinnert, als an ein gemütliches Stehcafé. Denn der Kunde wird dort von allen Seiten mit den firmeneigenen Produkten penetriert. Ob nun durch die sich auf den Tischen befindenen Smartphones oder Tablet PCs oder durch die an der Fensterfront hängenden LED Fernseher, die nicht nur eine schöne unruhige Atmosphäre schaffen, sondern einem auch die Aussicht nehmen und somit jegliche Möglichkeit zu entspannen. Wie schon einer meiner Kollegen zu mir sagte: ‚Ich würde mich nicht wundern, wenn in Zukunft über dem Haupteingang nicht mehr ‚Saturn‘, sondern ‚Samsung‘ stünde. Die ersten beiden Buchstaben haben sie ja schon.‘
Vor einer Woche habe ich einen guten Freund von mir auf der jährlichen Berliner Kunstmesse besucht, die jedes Jahr in einer alten Fabrik an der Grenze zwischen Mitte und Kreuzberg stattfindet. Für mich eine wirkliche neue Erfahrung, da ich mit bildender Kunst nicht so viel am Hut habe und die Berliner Kunstszene eigentlich nur aus seinen Erzählungen kenne. Insgesamt waren über hundert verschiedene Künstler und Galerien aus allen Teilen der Welt vertreten, die auf einer gemieteten Fläche von jeweils zwei bis drei Quadratmetern ihre Werke präsentierten.
Ohne zu übertreiben kann ich sagen, dass er mit seinen Bildern in seiner Orignalität auf jeden Fall herausstach und damit wieder den Beweis erbrachte, dass Kunst eine sehr subjektive Sache ist. Einer seiner unmittelbaren Standnachbarn hat z.B. nur drei übergroße, fotografierte Selbstportraits ausgestellt. Ich konnte es erst kaum erkennen, dass der imposante, kräftige Mann auf den Bildern den kleinen und eher hager gewachsenen Menschen mit Brille darstellen sollte, der die ganze Zeit unsicher um den Stand herumschlich. Die Bilder eines seiner anderen Nachbarn waren künstlerisch zwar schon ansprechender, zeichneten sich allerdings durch eine sehr perfektionierte Technik aus, wodurch sie schon fast wieder langweilig wirkten. Zu meiner Überraschung ignorierten uns beide Nachbarn komplett, als ich dort war, worauf Zubin nur meinte: ‘Die haben mit mir in den vergangenen fünf Tagen nicht ein Wort gewechselt.’
Der eigene Film, in dem die meisten leben, scheint dann doch stärker zu sein, als das Bedürfnis sich auszutauschen und mit seiner künstlerischen Arbeit zu wachsen oder es ist einfach nur ein Schutz, weil man innerlich weiß, dass man gar nicht so einzigartig ist wie man glaubt. Es war auf jeden Fall eine gute Erfahrung, zu sehen, dass ich mit meinem Egoprojekt nicht völlig allein dastehe. Ich finanziere mir seit Jahren mein Album und andere kaufen sich für zweitausend Euro für fünf Tage die Illusion, professionell Kunst zu machen. Jeder nach seiner Façon.