Get Shorty

Nach monatelangem Verhandeln scheint die Klage der Verlage nun endlich einen glimpflichen Ausgang zu finden und mir wird immer mehr bewusst, dass ich durch die ständige Ungewissheit, wieviel ich im Endeffekt an Schadensersatz zu zahlen habe und inwiefern strafrechtliche Konsequenzen zum Tragen kommen werden, das letzte halbe Jahr über doch einer ganz schön starken psychischen Belastung ausgesetzt war. Dazu kommt, dass ich zur Zeit auch keine finanziellen Rücklagen habe und daher der ganze Sache auch nicht wirklich entspannt entgegenblicken konnte. Um die Vergleichszahlung als Ganzes zu leisten, wollte ich kurzfristig sogar einen Kredit mit einem Tilgungszins von neun Prozent aufnehmen. Auch ‘mal wieder ein Beweis dafür, dass Banken zusammen mit den Versicherungen und Pharmakonzernen an Gier nur schwer zu überbieten sind.
Der Kredit erinnert mich an meine Zeit kurz nach der Schule, in der ich als Filmvorführer angelernt werden sollte. Das ‘Europa Studio’ war ein kleiner Ableger des Royal Palast Kinos im Europa Center, welcher sich eher auf Independentfilme spezialisierte. Zu der Zeit noch nicht wissend, dass ich alles andere als ein technisch affiner Mensch bin, wollte ich meiner schon damaligen Leidenschaft als Cineast nachgehen und mir dort im Nebenjob mein angehendes Studium finanzieren. Die Einarbeitungsphase verlief nicht wirklich lange und endete damit, dass ich in einer filmreifen Szene die gesamte Filmrolle, die ich starten sollte, zum Verknoten brachte und somit den Filmbeginn um gefühlte zwei Stunden verzögerte. Das war auch das erste und zugleich letzte Mal, dass ich einen Filmprojektor bedient habe, da ich daraufhin zum Kartenabreißen im benachbarten Mamorhaus Kino degradiert wurde.
Aus der Zeit ist mir eigentlich nicht mehr allzu viel in Erinnerung geblieben, nur dass ich den Film ‘Schnappt Shorty’ über zehn mal gesehen habe und wenn ich nicht im Kino saß, zusammen mit dem Filmvorführer die Zeit zwischen den Vorführungen in einem kleinen, büroähnlichen Pausenraum verbrachte. Der Filmvorführer, etwa mitte zwanzig, hager und klein gewachsen, war kein besonders redseliger Mensch und von einer enormen phlegmatischen Aura umgeben, was sich darin zeigte, dass er sich sehr schleppend bewegte und reagierte. Das lag wohl daran, dass er den ganzen Arbeitstag nichts weiter machen musste, als alle zwei Stunden eine Film- und Werberolle einzulegen. Da es im Pausenraum weder einen Fernseher, noch ein Radio, geschweige denn etwas zu lesen gab, saßen wir eigentlich die gesamte Zeit stumm da und starrten an eine der vier Wände. In dieser von Trägheit gefüllten Stille blieben die spannenden Gespräche natürlich aus, so dass ich mich rückblickend nur noch daran erinnern kann, dass er mir an einem Tag davon erzählte, dass er, um sich seine Wohnung neu einzurichten, einen Kredit über sechstausend Mark aufgenommen hatte und es als eine ziemliche finanzielle Belastung empfand, für diesen nun inklusive Zinsen neuntausend Mark zurückzuzahlen. Unabhängig davon, dass mir in dem Moment vor lauter Fassungslosigkeit der Mund weit offen stehenblieb, wurde mir auch klar, dass es im Leben leichtere Wege geben musste, sein Geld zu verdienen, als für fünf Mark die Stunde Filmrollen zu wechseln.