Es ist Anfang März und ich befinde mich ‘mal wieder in einer lethargischen Blase aus zuviel Freizeit und zu wenig Geld. Wie jedes Jahr um diese Zeit lassen die Promotionjobs auf sich warten und beginnen meistens erst wieder mit dem zweiten Quartal. Ich habe also wieder Muße, kreativ zu sein und meinen Perfektionswahnsinn zu pflegen, was oft darin endet, dass mich den ganzen Tag mit einzelnen Songzeilen beschäftige oder den eingenähten Labels im inneren meiner Hemden.
Ansonsten erweist sich das Jahr der Schlange bisher als sehr entspannt und verläuft viel ruhiger als noch das Jahr davor. Mittlerweile habe ich mich ganz gut bei meiner Mutter eingelebt, dennoch gibt es wie überall auch Reibungspunkte, wovon einer ist, dass ich, wenn ich zu Hause bin, immer die absolute Stille brauche, bei meiner Mutter aber von früh bis nachts entweder das Radio oder der Fernseher läuft. Das ist wohl wieder ein Beweis, dass ich mir manchmal wie eine Reinkarnation eines buddhistischen Mönchs vorkomme. Denn unabhängig davon, dass ich oft stundenlang auf meinem Bett liege und an die Decke starre, dazu keinen Alkohol trinke und auch nicht rauche, finde ich die größte Erfüllung im Verkauf der Dinge, die ich besitze. Meine Nichtbindung an Materielles geht soweit, dass es mir schon schwer fällt, in eine eigene Wohnung zu ziehen, da das natürlich auch immer mit neuen Anschaffungen verbunden ist. Auch der Besitz eines Autos wäre für mich eine enorme Belastung, wobei mir schon beim Gedanken allein an die Kosten für Benzin und die ständigen Parkgebühren mulmig wird. Da bleibe ich doch lieber bei meinem Fahrrad und der Gewissheit, dass ich mein gesamtes Hab und Gut jederzeit in eine große Tasche stopfen kann. ‘Besitz belastet und bindet’ ist nun schon seit vielen Jahren mein Lebensmotto. Wo mich das noch hinführen wird, bin ich mir nicht so sicher und ob ich, sobald mein Album fertig ist, weiter durch die Welt ziehen oder mir einfach eine kleine, bezahlbare Wohnung suchen werde, ist noch offen.
Meine neue Wohngemeinschaft ist nicht nur gemütlich, sondern auch eine willkommene Zwischenlösung bis ich einen Weg gefunden habe, meine Schulden bei den klagenden Verlage abzuzahlen, mit denen ich nach monatelangem strategischen Taktieren nun endlich einen Vergleich gefunden habe. Es ist zugleich aber auch eine gute Erfahrung, meine Mutter besser kennenzulernen, die, wie ich mittlerweile mitbekommen habe, ein sehr einsames Leben führt. Mein Leben ist eigentlich auch nicht so verschieden zu ihrem, wobei ich als Steinbock wohl weniger unter den einsamen Abenden zu leiden habe, als sie mit ihrem Krebsaszendenten. Wir können also voneinander lernen, auch wenn das nicht immer einfach ist, da sie eigentlich nie gelernt hat, sich selbst zu reflektieren und jegliche Kritik an ihrer Person immer gleich abgeblockt. Dadurch werden Probleme nie wirklich ausgesprochen oder geklärt. Die Ursache dafür liegt wahrscheinlich darin, dass sie in einer Familie großgezogen wurde, in der sie, wenn sie nur fünf Minuten zu spät nach Hause kam, mit dem Handfeger verkloppt wurde. Diese Art der Erziehung hinterlässt vermutlich mehr als eine Narbe in einer jungen Kinderseele. Dabei war die Erziehung meiner Oma schon eine Weiterentwicklung, wenn man bedenkt, dass sie, als sie Kind war und etwas nicht essen wollte, sogar gezwungen wurde, ihr Gebrochenes aufzuessen. So macht jede Generation seine eigenen Erfahrungen und natürlich auch Fehler, was nur menschlich ist und auch verständlich, solange man immer versucht, seinen Kindern das Bestmögliche mitzugeben. Selbst meine Generation wird sich wahrscheinlich später mit Vorwürfen seiner Nachkommen konfrontiert sehen und wenn es nur darum geht, dass sie ihnen in jungen Jahren zu viele Freiheiten eingeräumt haben und zur Einschulung anstelle eines Smartphone lieber einen Büchereiausweis geschenkt bekommen hätten.
Ich kann mir in der Hinsicht zumindest noch kein schlechtes Gewissen machen, da mein jetziger Lebensweg bisher daraus bestand, mich gar nicht zu entscheiden und in irgendeiner Form festzulegen. Obwohl das für meine Seele sicherlich heilsam ist, merke ich im zunehmenden Alter, dass ich keine Lust habe, auch noch die nächsten Jahre allein durchs Leben zu gehen. Inwiefern sich das mit meinem Mönchsdasein vereinbaren lässt, bleibt abzuwarten.