Mittlerweile bin ich seit zwei Monaten im festen Promotion Team von Canon und betreue eigentlich nur noch die großen Märkte. Anstelle einer auf Provision basierenden Vergütung bekomme ich dort ein verhältnismäßig gutes Fixum und muss daher nicht jeden Tag aufs Neue um meinen Umsatz buhlen. Zumal Canon immer noch Marktführer im Fotosegment ist, ist es zur Abwechslung ganz schön, sich nicht ständig für seine Produkte zu rechtfertigen. Der Job läuft zudem das ganze Jahr über, was bei meiner weiteren Lebensplanung sicherlich auch angenehm ist und gerade nach diesem hektischen Jahr, in dem ich auf unzähligen Schulungen war, auch ganz erholsam. Es scheint also, dass ich in der Promotionbranche inzwischen den Zenit erreicht habe. Ob das auf längere Sicht meine Erfüllung und auch noch in zehn Jahren funktionieren wird, bleibt abzuwarten. Fragen, ob ich mich beruflich noch ‚mal komplett neu orientieren oder sogar ins Ausland gehen soll, gehen mir da in regelmäßigen Abständen durch den Kopf, wenn ich wieder während der Woche gelangweilt in einer menschenleeren Fotoabteilung meine Lebenszeit abstehe. Sicherlich kann ich mich noch mindestens ein Jahr mit dem Vermarkten meiner CD beschäftigen, aber was kommt dann? So warte ich eigentlich weiterhin gespannt auf eine wirklich neue Jobmöglichkeit, mit der ich dann durchstarten kann. Denn sobald mein Egoprojekt abgeschlossen ist und ich der Welt bewiesen habe, dass ich ein ganz cooler Typ bin, steht einem neuen Lebensabschnitt eigentlich nichts mehr im Weg.
Während es nun schon seit Tagen ab sechszehn Uhr dunkel wird und der Winter mein seelisches Wohlbefinden schon wieder fest im Griff hat, muntern mich zur Zeit eigentlich nur die vielen, coolen Gigs auf, die oft im November stattfinden. Letzte Woche spielte u.a. die junge, englische Band ‚Two Door Cinema Club‘ im Astra, für die ich aber leider keine Karten mehr bekommen habe und vor drei Tagen war ich bei ‚Garbage‘ im Huxleys, die ich bisher noch nie live erlebt hatte. Ein fettes Konzert. Man merkte sofort, dass drei erfahrene Produzenten die Show konzipiert haben, von denen einer, Butch Vig, der Schlagzeuger der Band, die wohl zwei erfolgreichsten Alternative Rock Alben der neunziger Jahre produziert hat. Mir wurde an dem Abend wieder bewusst, wie sehr sich doch das technische Niveau der Unterhaltung in den letzten hundert Jahren weiterentwickelt hat. Eine riesige Videoleinwand zierte den hinteren Teil der Bühne, während vorn die Musiker in einem ständig wechselnden Scheinwerferlicht abrockten. Der Schlagzeuger arbeitete zusätzlich mit elektronischen Beats, die sein Klangspektrum noch umso mehr verstärkten und die beiden Gitarristen, die die gesamte Bandbreite der existierenden Gitarreneffekte aufboten, hatten zudem an ihrer Seite jeweils ein Keyboard stehen, mit dem sie abwechselnd Klänge und Samples spielten und zusammen mit dem Bassisten einen immensen, treibenden Sound kreierten. Es war ein ziemlich beeindruckender Abend, der zeigte, dass bei all dem weichgespülten Pop heutzutage auch noch gute Musik gespielt wird.
Ein vergleichbar überwältigendes Erlebnis hatte ich gestern, als ich ein Solokonzert von Benjamin Gibbard, dem Sänger und Songschreiber der amerikanischen Band ‚Death Cab For Cutie‘, in der Passionskirche in Berlin-Kreuzberg gesehen habe. Im Gegensatz zu seiner Vorband, eigentlich auch nur bestehend aus einem Singer/Songwriter, der allerdings zugestellt war mit Effektgeräten und Drumcomputern und nicht so wirklich überzeugte, hatte Ben nur eine Gitarre und ein Stimmgerät auf der Bühne. Ab und zu wechselte er alternativ noch zu einem Flügel, schaffte es aber dennoch über knapp zwei Stunden das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Das lag sicherlich auch daran, dass er mit seinen sechsunddreißig Jahren auf zehn Studioalben und etliche EPs zurückblicken und dadurch auf ein gigantisches Repertoire zurückgreifen kann. Leider störten zwischendurch immer wieder Leute im Publikum seinen Auftritt, indem sie, wenn auch sicherlich ungewollt, mit ihren Füßen leere Bierflaschen auf dem Kachelboden umstießen, was bei der Kirchenakustik natürlich alles andere als unauffällig war. Warum Menschen während einer künstlerischen Darbietung immer irgendetwas trinken und essen müssen, ist mir bis heute unbegreiflich. Ähnlich nervend wie die manisch Popcorn fressenden und Cola schlürfenden Leute im Kino, die mir schon mehr als eine Vorstellung vermiest haben. Aber wenigstens klingelte an dem Abend kein Smartphone. Es besteht also noch Hoffnung in unserer auf Dauerstimulation programmierten Gesellschaft.