Death Cab For Cutie

Am letzten Sonntag hat die amerikanische Band Death Cab For Cutie in Köln gespielt. Ich hatte mir daher schon vor zwei Monaten eine Karte gekauft und ein Hotelzimmer gebucht. Da die Bahnpreise in ihrem überteuertem Wahnsinn immer noch nicht moderater geworden sind, bin ich auf dem Hinweg mit einer Mitfahrgelegenheit gefahren und zurück geflogen. Ich hatte also wieder ein kleines Abenteuer vor mir.
Nachdem mein erster Fahrer am Abend zuvor per SMS abgesagt hatte, machte ich gleich eine andere Fahrt ausfindig. Was nicht allzu schwer war, da die Tour Berlin-Köln sehr beliebt ist. Der Treffpunkt war vor dem McDonalds am Zoo. Eine Instanz, die mich nun schon seit meinen Kindheitstagen begleitet und sich trotz aller Bauvorhaben in den letzten Jahren wacker hält und den städteplanerischen Veränderungen strotzt. In meiner Aufregung, gleich mit mir völlig fremden Personen über sechs Stunden ein Auto zu teilen, war ich schon etwas eher da und störte auch gleich zwei Penner bei ihrem morgendlichen Umtrunk. Als ich sie fragte, ob sie auch hier wären, um nach Köln zu fahren, guckten sie mich nur verdutzt an und schlurften weiter ihr Bier. Ein paar Minuten später hielten gleich mehrere Autos vor dem Fastfoodrestaurant. Ich ging daraufhin rüber zum ersten Fahrer, der ausstieg. Er sah gestylt aus und fuhr einen neuen Vierer Golf. Während er mir schon meine Tasche abnahm, fragte ich noch ‚mal nach seinem Namen und mir wurde klar, dass ich beinahe ins falsche Auto eingestiegen wäre. Meine ganze Verwunderung bekam ein junger Mann mit, der gleichzeitig mit mir zum Auto gekommen war und fragte mich daraufhin: ‚Ach, bist du Tim? Dein Fahrer steht dort drüben und wartet schon auf dich.‘
Also zog ich weiter und aus war der Traum von einer Fahrt in einem gepflegten Auto. Vor mir stand ein alter, heruntergefahrener Ford Escort, der mit seiner Karosserie schon fast am Boden klebte und bei dem, wie sich später herausstellte, der TÜV schon längst überfällig war. Mein Fahrer Sven, so Anfang vierzig, hatte rote, aufgequollene Augen und einer Zigarette in der Hand, als er meine Tasche in den ohnehin schon völlig überladenen Kofferraum packte. Es schien, dass er in den letzten Stunden nicht viel Schlaf bekommen hatte. Auf der Rückbank saßen drei junge Mädchen Anfang zwanzig – wobei ‚quetschten‘ wohl die besserere Beschreibung wäre – die mich gleich freundlich begrüßten. Die ersten Minuten im Auto waren gefüllt mit einem unbehagsamen Schweigen. Sven rauchte weiterhin und es tönte nervige Radiomusik aus den dünnen Plastikboxen an den vorderen Türen des Autos, während wir uns auf den Weg zum Berliner Stadtring machten. Ich bekam kurzzeitig ein Gefühl der inneren Verzweiflung, wie ich es zuletzt bei meinem Promotionjob an der Tankstelle in Rummelsburg erlebt hatte und sah mich also schon die nächsten sechs Stunden eingepfercht mit einem kettenrauchenden Fahrer und beschallt von einem nervenden Radioprogramm verbringen. Das Innere des Autos spiegelte in seinem abgeranzten Durcheinander so ziemlich das äußere Erscheinungsbild des Fahres wider. Da er die vergangene Nacht nur sitzend und dösend im Auto verbracht hatte, fuhren wir fast jede Stunde auf einen Parkplatz, um ihn halbwegs wach zu halten. Sein offensichtlicher Schlafentzug war der Stimmung im Auto auch nicht besonders zuträglich, so dass er die meiste Zeit etwas gereizt und auch nicht zu langen Gesprächen zu bewegen war. Nach den ersten Pausen brach aber das Eis und er taute so langsam auf. Die drei jungen Ladys kamen aus Wesseling, einem Vorort von Köln und waren übers Wochenende nach Berlin gefahren, um eine Freundin zu besuchen. Am sympathischsten war mir Laura, die in Bonn Geschichte und Politikwissenschaft studiert und auch gleich völlig begeistert war, als ich meine obligatorische Sternzeichenfrage in den Raum stellte und dann auch gleich ihren Aszendent wissen wollte. Sven, eigentlich aus Leipzig kommend und Raumausstatter, arbeitet zur Zeit im Tierheim und war in Berlin, um dort einen Hund auf einem Gnadenhof abzuliefern und nach einer Wohnung zu schauen. Das regelmäßige Pendeln von Köln nach Berlin scheint für ihn eine lukrative Nebeneinkunft zu sein, um sich sein langsames Annähern an Berlin zu finanzieren. Denn bei dreißig Euro pro Person hat er auf jeden Fall mehr als sein Benzingeld in der Tasche. ‚Köln ist langweilig und teuer‘ wie er meinte und nach mehr als fünfzehn Jahren in der rheinischen Metropole brauchte er nun einen Neustart. Gerade aus einer Insolvenz kommend, schon seit April keine Miete mehr zahlend, weil ihn seine Vermieterin nervt und auf ständiger Wohnungssuche wirkte er nicht gerade erfüllt mit seiner derzeitigen Lebenssituation.
Die Musik im Radio war wieder unerträglich belanglos und deren Bandbreite unbegrenzt. Ob nun schluffiger Singer-Songwriter Pop, der auch nicht mehr Tiefe bekommt, nur weil er in einer akustischen Radiosession gespielt und vom Sänger durch leere Floskeln angekündigt wird. Oder der mittlerweile allgegenwärtige, penetrante Techno Dance Pop, bei dem auch jeder letzte Funke an Originalität und Lebendigkeit herauseditiert wird. Daher freute ich mich umso mehr auf das Konzert am Abend. Death Cab For Cutie hatte ich das erste Mal in Bristol live gesehen. Ihre Show im E-Werk toppte aber weitem den Gig vor drei Jahren. Sowohl durch den Sound, als auch durch ihr zweistündiges Set, welches dramaturgisch perfekt inszeniert war. Mit mittlerweile sieben veröffentlichten Studio Alben und etliche EPs im Gepäck zehrt die Band natürlich auch von einem gigantischen Repertoire. Mein Hotel war nur zehn Minuten Fußweg entfernt vom Veranstaltungsort und lag in Mülheim. Ein Bezirk, der aufgrund seiner türkischen Migrantendichte etwa vergleichbar ist mit Kreuzberg. Auf dem Weg zum Konzert gönnte ich mir noch einen vegetarischen Döner, der aber in seiner Lieblosigkeit bei weitem nicht an die Qualität von Mustafa’s Gemüse Kebap herankam.
Am nächsten Morgen habe ich mir noch die Kölner Innenstadt angeguckt. Das Herbstwetter zeigte sich wieder von seiner schönsten Seite: Angenehm kühle Luft, die durchzogen war von klaren, blendenden Sonnenstrahlen. Die Kölner waren sehr hilfsbereit und freundlich, als ich mehrmals nach dem Weg fragte. Auch als Ganzes machte die Stadt mit seinem internationalen, offenen Flair einen sehr sympathischen Eindruck und wäre jetzt selbst für mich als eiserner Verfechter Berlins eine wirkliche Alternative zum Wohnen.
Da ich eine Stunde zu früh am Flughafen war, fragte ich beim Buchungsschalter von German Wings nach, ob ich nicht auch schon einen Flug eher nehmen kann. Die Dame am Schalter, die sich gerade angeregt mit ihrem Kollegen unterhielt, gab mir daraufhin nur die automatisierte Standardantwort: ‚Also Sie müssen auf jeden Fall mit der Umbuchungsgebühr von zweiundvierzig Euro und der Differenz zwischen ihrem Ticket und dem aktuellen Preis für den Flug rechnen.‘ Als ich dann gleich freundlich abdankte, da ich bestimmt nicht bereit war, eine Gebühr in der Höhe vom doppelten Flugpreis zu zahlen, nur um eine Stunde eher zu fliegen, guckte sie mich völlig entsetzt an. Ich war mit in dem Augenblick nicht so sicher, ob es ihr an Empathie mangelte oder ob sie einfach nur genervt war, für die Frühschicht am Montag eingeteilt zu sein. Die Stewardessen im Flugzeug rissen sich mit ihrer Freundlichkeit auch kein Bein aus und waren sichtlich bemüht, sich ein Lächeln auf die Lippen zu drücken, als sie ihre überteuerten Getränke anboten. Es scheint, dass viele Menschen im Servicesektor nicht mehr bereit sind, wirklich zu arbeiten. Die Stunde auf dem Flughafen verging dann ziemlich schnell, da ich mit meinem inzwischen auch internetfähigen Handy entspannt meine E-Mails abrufen konnte, während ich in der Wartehalle saß. Die Smartphones sind wohl die Sucht der Neuzeit, nämlich sich an jedem Ort und zu jeder Zeit mit der unbegrenzten Welt des Internets zu verbinden. Einer Abhängigkeit, der ich auf jeden Fall auch aufgesessen bin.

Für alle, die Death Cab For Cutie noch nicht kennen, hier der YouTube Link zu ihrer Single ‚You Are A Tourist‘ von ihrem aktuellen Album ‚Codes and Keys‘:

http://www.youtube.com/watch?v=-YfU0VIg3ok