Road Trip

Meine Albumproduktion verschlingt weiterhin Geld. Aus diesem Grund suche ich gerade nach zusätzlichen Jobs, da meine jetzige Arbeit gerade ‚mal die Grundkosten wie Miete und Versicherungen abdeckt. Letzte Woche hatte ich daher eine Schulung zu Fuji Digitalkameras in einem Außenbezirk von Leipzig. Da diese um neun Uhr früh angesetzt war, saß ich schon um sechs Uhr im Auto, bereit, mich ‚mal wieder der großen Welt zu stellen. Ich konnte mich gar nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal so früh aufgestanden war und daher umso stolzer, als ich ausgeschlafen und rasiert den Schlüssel in die Zündung steckte. Dieses Gefühl wurde allerdings gleich geschmälert, als bei dem Auto, das hinter mir geparkt war, plötzlich die Frontscheinwerfer angingen und es elegant an mir vorbeizog und mir schlagartig bewusst wurde, dass ich in einer Millionenstadt wohne. Auch die Autobahn war nicht gerade leer und so brach das Podest, auf das ich mich gerade als Frühaufsteher gestellt hatte, sofort wieder ein. Als einer von vielen fuhr ich nun über die von Absperrungen und Baustellen verbaute Autobahn in Richtung München. Es war immer noch dunkel, während ich mir mit angespannten Augen meinen Weg durch den strömenden Regen bahnte. Zudem brach ständig die Stromversorgung meines Navigationsgerätes ständig zusammen, da der Stecker für den Zigarettenanzünder viel zu klein war, so dass ich nach einer Stunde schon nervlich an meine Grenzen gelangt war. Nach ziemlich genau zwei Stunden kam ich beim Globana Airport Hotel in Schkeuditz an. Die Frauen an der Rezeption empfingen mich mit einer krampfig bemühten Freundlichkeit, wie ich es schon so oft in den neuen Bundesländern erlebt habe. Anscheinend immer noch ein Relikt des Servicewüstentums der vierzig Jahre Planwirtschaft. Dafür war wenigstens das aus frischen Bananen und Mandarinen bestehende Frühstücksbuffet lecker. Die Schulung verging schnell und dauerte auch nur ein paar Stunden. Nur dass meine jüngeren, männlichen Kollegen ein wenig nervten, da sie die meiste Zeit versuchten, die jungen Assistentinnen der Promotionagentur mit coolen Sprüchen zu beeindrucken, aber eigentlich nur das Gegenteil erreichten. Es war wieder lustig, zu sehen, wie unobjektiv voreingenommen der Trainer war, als er uns anhand von gestellten Tabellen zeigte, dass Fuji nach Canon, Nikon und Panasonic vom Marktanteil bei Kompaktkameras auf dem vierten Platz steht, ohne etablierte Hersteller wie Sony, Casio oder Samsung überhaupt zu erwähnen. Während der Trainer also weiter begeistert die Vorteile der neuen Fuji Kameras erklärte, musste ich an den mir von meinen Kollegen im Media Markt gegebenen Spitznamen ‚Pinocchio Kuhnert‘ denken, da ich oft die sehr mittelmäßigen Casio Kameras als hochwertig anpreise und deswegen einige von ihnen, wenn sie sehen, dass ich eine Kamera aus dem Regal hole, es mit den Worten kommentieren: ‚Na, wieder jemanden übers Ohr gehauen?‘
Das Arbeitsklima in der Fotoabteilung wird immer besser, da wir uns immer mehr kennenlernen. Auch die anderen Mitarbeiter im Markt nehmen mich inzwischen endlich wahr und das, obwohl ich schon seit sechs Monaten dort arbeite. Der Mensch braucht dann anscheinend immer eine gewissse Aufwärmphase, um sich zu öffnen. Nur die jungen Abteilungsverantwortlichen bemühen sich immer noch, nicht zu lächeln, wenn ich sie freundlich begrüße und zwingen sich jeden Tag aufs Neue in ein Korsett aus kühler Distanziertheit, um ihre Autorität zu wahren. In meinen Augen ein ziemlich großer Tribut und für die Seele bestimmt nicht einfach, nur um ein paar hundert Euro mehr im Monat auf dem Konto zu haben. Denn soziale Kompetenz ist nicht gerade das, was im Media-Saturn Imperium vermittelt, geschweige denn gefordert wird. Meine Rückfahrt erschien mir dann viel kürzer als angenommen. Ich weiß nicht, ob es die Vorfreude war, bald wieder in meinen vertrauten vier Wänden zu sein oder einfach nur, weil ich die Strecke nun schon kannte. Die gesamte Fahrt kostete mich über fünfzig Euro an Benzin und war wieder ein Beweis dafür, dass längere Strecken mit dem Auto inzwischen zu einem absoluten Luxus geworden sind.
Mein Plan, nach Kanada zu gehen ist erst ‚mal auf unbestimmte Zeit verschoben. Zum einen, weil ich einfach das Geld dazu nicht habe und zum anderen, weil es sicherlich nicht sehr hilfreich wäre, nach dem Veröffentlichen meiner CD für ein Jahr von der Bildfläche zu verschwinden. Also wieder ein weiterer Schritt zu der Erkenntnis, dass ich bei allen Plänen Prioritäten setzen muss. Zudem habe ich mittlerweile erkannt, dass auch meine Reisen ein Teil meiner Comfort Zone waren, die ich nun schon so lange bemüht bin, zu verlassen. Ein weiterer längerer Aufenthalt im Ausland wäre also auch nur wieder eine Flucht gewesen. Der größere Schritt ist es jetzt wohl, an einem Ort zu bleiben und mir hier langsam etwas aufzubauen und nicht durch neue Reisepläne mein Leben weiter aufzuschieben.