Die Immobilensituation in Berlin hat sich in den letzten Jahren rapide verändert. Ich habe das Gefühl, dass es kaum noch ein anderes Thema gibt. Egal wen man trifft, jeder sucht eine Wohnung, sei es zum Tausch oder zum Mieten. Verglichen mit anderen europäischen Großstädten ist das Wohnen in Berlin sicherlich immernoch bezahlbar. Wie Paul, ein Freund von mir, in dessen Wohnung ich gerade zur Zwischenmiete wohne, während er in Paris residiert, sagte: ‚Die Jahresmiete meiner Wohnung hier in Berlin würde in Paris gerade ‚mal für drei Monate reichen.‘ Das stimmt vermutlich. Auch im westdeutschen Vergleich hat Berlin mit Abstand die günstigsten Mieten. Dennoch ist z. B. in Kreuzberg in den letzten fünf Jahren der durchschnittliche Quadratmeterpreis von sechs auf acht Euro gestiegen. Selbst für die abgelegensten Wohnungen in irgendwelchen heruntergewirtschafteten Hinterhöfen werden mittlerweile schon bis zu zehn Euro aufgerufen. Dementsprechend wählerisch sind auch die Hausverwaltungen, die Wohnungen in dem gerade absolut angesagten In-Bezirk anbieten. Es gibt keine Antworten mehr auf Bewerbungen, geschweige denn Absagen. Sei es per Telefon oder E-Mail. Wozu auch. Die Vermieter sind sich ihrer Machtposition sehr wohl bewusst und ziehen alle Register, um ihren Schnitt zu machen. Angefangen von Mieterhöhungen bei der Neuvermietung, Staffelmieten in den ersten fünf Jahren, aber auch die Chuzpe teilweise heruntergekommene Wohnungen anzubieten, wie ich es bei einer Wohnung im Graefekiez erlebt habe, bei der die komplette Küchendecke mit Schimmel überzogen war und die Ansage von der Hausverwaltung war: ‚Wenn Sie sich darum kümmern, erlassen wir Ihnen eine Kaltmiete.‘ Obwohl eigentlich gemeint war: ‚Wenn sie die Ursache des Schimmels herausgefunden, die Decke trockengelegt und neu gestrichen haben, sparen Sie eine Kaltmiete.‘ Kein besonder Deal, wenn man bedenkt, dass der Stundenlohn eines Handwerkers bei dreißig Euro beginnt. Die Dreistigkeit der Vermieter nimmt immer mehr zu und auch der Druck, einen solventen Nachmieter zu finden, scheint nicht mehr so groß zu sein wie noch vor ein paar Jahren. Erst letzte Woche wollte ich mir einen Wohnung anschauen, bei der die Wohnungbesichtigung einen Tag vor dem vertraglichen Mietbeginn gelegt wurde. Das ist besonders hilfreich, wenn man sich noch in der dreimonatigen Mindestkündigungsfrist seines anderen Mietverhältnisses befindet. Meine anfangs noch entspannte Wohnungssuche wird also immer mehr zu einem Suchmarathon, bei dem das Ziel noch lange nicht in Sicht ist und mein ansonsten eiserner Optimismus jeden Tag erneut auf die Probe getellt wird.
Wenn ich mich für eine Erfindung der letzten einhundert Jahre entscheiden müsste, auf die ich keineswegs verzichten wollte, dann wäre es das Fahrrad. Trotz meiner fernsehkondionierten Kindheit und meines intensiven Film- und TV-Serien Konsum in den letzten Jahren halte ich das Zweirad für eine der besten Erfindungen der Neuzeit. Sich aus eigenem Antrieb fortzubewegen, ohne auf externe Brennstoffe wie Öl oder Benzin angewiesen zu sein, ist einfach genial. Dazu kommt, dass man nicht nur viel schneller als zu Fuß und in der gleichen Zeit die fünffache Strecke zurücklegt, sondern sich dabei auch noch körperlich bewegt und auf diese Weise das Praktische mit dem Gesunden verbindet. Ein weiterer großer Vorteil sind die Anschaffungs- und Wartungskosten eines Fahrrad, die im Vergleich zum Auto, das getankt, versteuert, versichert und oft kostenpflichtigt geparkt werden muss, ein marginale Summe darstellen. Auch die Reparaturkosten sind beim Auto um ein Vielfaches höher. Als spartanischer und sparsamer Mensch ist daher das Fahrrad schon seit Jahren mein ständiger Begleiter. Abgesehen vom finanziellen Bonus birgt das Radfahren auch noch zwei weitere Vorteile, die für mich inzwischen existentiell geworden sind. Zum einen die Freiheit und Unabhängigkeit, jeder Zeit loszufahren zu können und auf dem direktesten Weg immer an mein gewünschtes Ziel zu kommen. Sei es tagsüber, wenn die halbe Menschheit wieder im Stau steht oder nach einem Parkplatz sucht oder nachts, wenn die Heimreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln oft aus einer elendlangen Odyssee aus Warten und Umsteigen besteht. Das Schönste aber ist, dass man beim Radfahren das Leben und die Welt um sich herum intensiver wahrnimmt als im Auto. Während ich oft stundenlang mit meinem Fahrrad durch die Stadt fahre, bin ich immer wieder überrascht, wieviele Menschen sich täglich durch ihren Alltag schleppen. Mir wird dann oft bewusst, dass jeder sein Paket zu tragen hat. Alle mehr oder weniger, manche offensichtlicher und manche verdeckter. Ob nun die streunenden Trinker, die auf einer Parkbank lethargisch vorsichhinvegetieren oder die Straßenzeitungsverkäufer, die sich jeden Tag aufs Neue ihren Unterhalt erbetteln müssen oder auch die jungen Frauen in der Bülowstraße, die gelangweilt auf ihren nächsten Freier warten. Diese Momente holen mich dann immer schnell zurück auf den Boden der Wirklichkeit. Gerade wenn ich ‘mal wieder dabei bin, mir in meinen Gedanken Probleme zu kreieren, die keine sind und mir klar wird, dass ich eigentlich dankbar dafür sein kann, für das, was ich bin und habe.