Gestern war ich ‚mal wieder bei meiner Mutter in Schmargendorf. Die kürzeste Verbindung von mir aus ist es, mit der U-Bahn bis zum Adenauer Platz zu fahren und von dort aus den Bus zu nehmen. Ich war noch nie ein großer Fan der öffentlichen Verkehrsmittel, wovon die U-Bahn mit Abstand das ungemütlichste ist und ich diese auch nur nutze, wenn es unvermeidbar ist. U-Bahnfahrten beinhalten eigentlich nur eines: Bei schlechter Luft eingeengt zwischen vielen Menschen zu stehen und dabei auf vorbeiziehende Tunnelwände zu starren. Ich versuche mich dann immer in eine meditative Stimmung zu versetzen, indem ich meine Augen schließe und an etwas Schönes denke. Busfahren ist nicht viel besser, besonders wenn man in keinem Doppeldecker sitzt. Der Busfahrer, der sich offenbar auch etwas Spannenderes vorstellen konnte, als an einem warmen Sommertag Stationen abzufahren, an denen eh niemand ein- oder aussteigt, machte seinem Unmut bei jeder Bremsbewegung Luft. Dementsprechend schnell übel wurde mir dann auch. Die anderen Passagiere im Bus fesselten mich auch nicht gerade mit ihrer Anwesenheit und bestärkten mich eher wieder in meinen Plänen, für eine längere Zeit ins Ausland zu gehen. Eigentlich war ich nur von gebrechlichen Rentnern umgeben, die mit ihren leeren Blicken so wirkten, als ob sie mit ihrem Leben schon abgeschlossen hatten, lange bevor sie die vergünstigte Umweltkarte bekamen. Für einen Moment fühlte ich mich an meine Köpenick Depression erinnert. Schmargendorf ist bis auf seine Gediegenheit auch nicht viel anders. Nur, dass die Ausstrahlung der meisten eher in Richtung gesättigt als enttäuscht geht. Das Fitnessstudio, in dem ich zu Schulzeiten noch Kung Fu Unterricht hatte und später auch meine ersten Hanteln stemmte, wirbt inzwischen nur noch mit Reha Kursen. Viele Läden sind seit meiner Kindheit umgezogen oder haben ihren Betreiber gewechselt. Die einzigen, die sich immernoch standhaft in dem Bezirk der reichen Witwen halten, sind die Banken und Apotheken. Knapp gefolgt von den Bäckereien, die mittlerweile genauso lukrativ sein müssen. Wenn es zu meiner Kindheit noch einen Bäcker in der Hauptstraße gab, gibt es jetzt vier und für das Brötchen, das man früher schon für zehn Pfennig bekam, zahlt man heute zwanzig Cent. Es scheint, dass Brot in den letzten Jahren zu einem Luxusgut geworden ist. Neben dem Haus meiner Mutter wird seit Monaten ein neuer Bürogebäudekomplex errichtet, in dem unten ein Aldi Markt mit Tiefgarage ‚reinkommen soll. Dementsprechend gigantisch ist auch die Baustelle, die eigentlich gar nicht ‚reinpasst in das ansonsten ruhige Anwohnergebiet und dabei schon etwas Surreales hat. Verstärkt wird das Gefühl noch dadurch, dass an den Bauzäunen ein Schild befestigt ist, auf dem steht: ‚Hier entsteht ein Aldi Markt‘.
Meine Wohnungssuche läuft weiterhin. Bald wieder mein eigenes, kleines Reich zu haben, wird für mich ein großer Schritt sein. Denn eigentlich habe ich die letzten fünf Jahren als Wohnungswanderer gelebt. Entweder zur Zwischenmiete oder in Wohngemeinschaften. Wobei diese eher Zweckgemeinschaften waren. Angefangen mit meiner Unterkunft in Australien, die nur aus Lebensverweigerern bestand. Wieder ein Beweis dafür, dass der Mensch besonders in Krisen immer Leute anzieht, die in einer ähnlichen Lebenssituation stecken wie man selbst. Nur dass mir das damals noch nicht wirklich bewusst war. Eigentlich waren wir alle mit dem Leben überfordert und wenn wir uns nicht gerade in der Dauerablenkung befanden, wurden absurde Pläne geschmiedet, um unser geknicktes Ego wieder aufzurichten. Während Noi, die gerade eine private Ausbildung zum Fitnesstrainer machte, davon träumte Personal Celebrity Trainer zu werden, verschickte ich unfertige Demotapes an internationale Plattenfirmen. Meine Wohngemeinschaft in Bristol war nicht viel anders, nur dass dort die Ablenkung anstelle von Drogen und Fernsehen, nur aufs Fernsehen beschränkt war.
Am Sonntagabend war ich nach dem Sport noch in der Lidl Filiale im U-Bahnhof am Innsbrucker Platz. Es wirkte wieder, als ob die Welt vor der totalen Apokalypse stand. Der Laden war ein Chaos aus zerbrochenen Nutella Gläsern und herausgewühltem, zertretenem Obst und Gemüse. Überall lagen leere, zerknautschte Verpackungen verstreut auf dem Boden, der auch schon völlig verschmiert war. Ich kam mir in dem Gedränge ein wenig vor wie auf einem Schlachtfeld, als ich mir dann meinen Weg zu einer der langen Schlangen vor den dicht bevölkerten Kassen bahnte. Zur Belohnung dieser Selbstkasteiung an dem heiligen Wochentag konnte ich mir aber immerhin vorher noch eine der letzten ‘traditionellen’ Griesbreipackungen von Landliebe ergattern. Wenigstens ein schmaler Trost für diese erneute Desillusionierung, nämlich dass sich der Mensch in seinem Urtrieb der Nahrungsaufnahme in den letzten Jahrhunderten weiterentwickelt hat. Trotz der unangenehmen Stimmung blieben die Kassierer konzentriert und freundlich. Selbst der Security Mann, den ich nicht gerade um seine Arbeit beneidete, lachte ab und zu. Als ich dann auf meinem Weg zurück ins Tageslicht an mehreren Bettlern vorbeizog, die vor dem Ausgang ihr Lager aufgeschlagen hatten, überkam mich ein mulmiges Gefühl, da mir klar wurde, dass es härtere Schicksale gibt, als alle paar Monate in einem verdreckten, unterirdischen Supermarkt einzukaufen.