Ich habe jetzt noch einen Promotionjob für die amerikanische Zigarettenmarke Chesterfield angenommen und bin dort als Springer eingesetzt, arbeite also nur, wenn jemand ausfällt. Das Stand-By Honorar pro Tag liegt bei fünfunddreißig Euro. Also wieder eine ideale Chillernische für ein eh schon gechillten Hasen. Die Schulung dazu fand in Berlin statt, genauer gesagt im ehemaligen ungarischen Pavillion, der zu Ostzeiten so etwas war wie heute das Institut Français für Frankreich. Ein Zentrum, das in Form von Kinofilmen, Bucherscheinungen und traditioneller Musik die Kultur Ungarns repräsentierte. Heute ist der Ort vorwiegend eine Tagungsstätte für Schulungen und Seminare. Das Interieur wurde nicht groß verändert, so dass es ein lustiges Bild war, in dem Ost-Retrodesign zu sitzen, während die gestylten Philip Morris Angestellten aus München ihre Präsentation machten. Zigaretten sind schon immer ein reines Imageprodukt gewesen, das sich eigentlich nur durch das Marketing verkauft, da es bei allen Firmen mittlerweile einen festen Qualitätsstandard gibt und auch nur drei Arten von Tabak verarbeitet werden. Aus diesem Grund war ich sehr gespannt, zu sehen wie sich Chesterfield auf dem Zigarettenmarkt etablieren will. Das Grundkonzept lautet: CADU. Dem Chesterfieldkäufer wird demnach suggeriert, dass er clever, authentisch, Design affin und unkonventionell ist. Zu dem Kundenprofil wurden uns dann in Form von großen Zeichnungen über einen Projektor einige Beispiele veranschaulicht. Eines war, dass, wenn alle durch ein Labyrinth laufen, der Chesterfieldraucher einfach drumherumläuft und ein anderes, dass, wenn bei einer Wildgänsejagd alle anderen mit einer Schrotflinte schießen, der Chesterfieldkonsument einen Staubsauger benutzt, um die Gänse vom Himmel zu saugen. Ich war mir in dem Moment nicht so sicher, ob die Marktingabteilung von Philip Morris nicht völlig bekifft gewesen war, als sie die Folien dazu erstellt hatte oder ob das kreative Schaffen der Werbebranche nun endgültig seinen absoluten Tiefpunkt erreicht hat.
Das Zigarettenmarketing ist schon ein Phänomen. Da rauchen eigentlich alle den gleichen Tabak und unterscheiden sich nur von dem gewünschten Bild, das sie von sich haben und darstellen wollen. Das Rauchen als Verstärkung eines Selbstbildes. Nach dem Motto: ‚Ich bin cool und bohème, weil ich Gauloises rauche.‘ Die Preise der Zigaretten aber steigen weiterhin. Ein Packung Premiumzigaretten kostet mittlerweile vier Euro siebzig. Wenn man bedenkt, dass der Staat davon vierundachtzig Prozent Steuern einkassiert und dadurch allein im letzten Jahr über achtzig Milliarden Euro eingenommen hat, wirkt die ganze ‚Rauchen kann tödlich sein‘ Kampagne um so heuchlerischer.
Letzte Woche war ich mit Freunden im Liepnitzsee baden. Etwas gewöhnungsbedürftig war die Tatsache, dass um uns herum nur Nudisten lagen, die auch keine Scham hatten, ihre hängenden Ärsche und schlaffen Genitalien zur Schau zu stellen. Für mich als fernsehkonditioniertes Kind wieder ‚mal ein Schock, da ich erneut festellen musste, dass nicht alle Menschen makellose Traumkörper haben. Den meisten der vorwiegend männlichen Freikörperfetischisten ist wohl ein gewisser Exhibitionismus nicht abzusprechen, wenn sie auf ihrer kleinen Decke breitbeinig ihren Johnson präsentieren. Vielleicht ist es auch eine Suche nach Bestätigung, die sie von ihrer Freundin oder ihrem Freund schon lange nicht mehr bekommen. Das Augenleiden sollte aber noch nicht zu Ende sein, denn die meisten der bleichen Körper waren auch noch zusätzlich übersät mit übergroßen, hässlichen Tattoos. Zum Glück hatte ich neben mir die hübsche, junge Arbeitskollegin von Filipe liegen, ansonsten wäre ich sicherlich irgendwann vor lauter fehlender Ästhetik erblindet. Wir hatten aber trotzdem unseren Spaß. Wenn wir uns nicht gerade sonnten, spielten wir Frisbee im halbtiefen Wasser und freuten uns anschließend auf unsere mitgebrachten Käsebrote und Salate. Ich genoss den Tag in vollen Zügen, vor allem weil für mich Schwimmengehen über viele Jahre immer eine Überwindung darstellte. Wenn meine Freunde mit ihren Freundinnen ausgelassen in einen ekstatischen Liebesurlaub fuhren, verbrachte ich viele meiner Sommer damit, in schlecht klimatisierten Fitnessstudios Hanteln zu stemmen, um dann abends zur Belohnung romantische Filme mit Julia Roberts zu gucken.
Man sagt, dass das Leben der Steinböcke erst mit dreißig beginnt, da ihre Jugend oft geprägt ist von Pflichten und früh zu tragener Verantwortung. In dieser Zeit legt sich der Steinbock oft ein härenes Gewand an und geht durch eine innere Carthasis. Er lebt dadurch oft über viele Jahre in einem selbstgewählten Eremitendasein. Bei mir hat der Selbstfindungsprozess scheinbar noch fünf Jahre länger gedauert. Ich kann mich nun so langsam annehmen wie ich bin und mich immer mehr von meinen nervenden Neurosen befreien, die über lange Zeit mein Leben bestimmt haben. Der Tag am See war für mich also nicht nur ein sonniger Tag mit Freunden. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte ich mich wirklich lebendig und spürte ein Gefühl von Zufriedenheit, als ich entspannt meine Bahnen durch das angenehm kühle Wasser zog.