Ich genieße immer noch meine Freiheit, die ich mir über viele Jahre aufgebaut habe, merke aber auch, das diese auch eine Form der Verweigerung ist. Ein Hinauszögern von dem, was ich nicht komplett kontrollieren kann: Das Leben. Freiheit ist auch nur eine weitere Illusion, der viele aufgesessen sind. Man glaubt, alle Möglichkeiten zu haben, nutzt sie aber nur zum Teil oder auch gar nicht. Der Mensch ist dann doch begrenzter in seinen Entscheidungen, als er denkt. Vor allem durch die Zeit, die ihm gegeben ist, aber auch durch die Angst vor Neuem. Das bezieht sich sowohl auf die Berufswahl als auch auf Beziehungen. Natürlich kann man mehr als einen Beruf erlernen und auch ausüben. Aber wer macht das schon, wenn er sich etwas aufbauen will. Beziehungen laufen ähnlich. Die meisten sind mit Partnern zusammen, die sie entweder in der Schule oder beim Studium kennengelernt haben und bleiben so immer in ihrem vertrauten Bereich. Dann gibt es noch die Leute, die ständig auf der Suche sind und sich nie wirklich festlegen wollen, zu denen auch ich gehöre und die den Großteil meines Jahrgangs widerspiegeln. Die Freiheit der Möglichkeiten ist wahrscheinlich auch das Kreuz, das meine Generation zu tragen hat. Wenn ich da an meinen Vater denke, der im Ostteil Berlins wohnend, durch den Bau der Mauer von einem Tag auf den anderen nicht mehr sein Gymnasium im Westteil Berlins besuchen konnte und dann gezwungen war, eine Ausbildung anzufangen, um nicht in dem Braunkohletagebau der DDR zu landen. Er machte daraufhin in der Abendschule sein Abitur nach, ging danach auf die Schauspielschule und studierte später Literatur. Heutzutage ist es schon ein Erfolg, wenn jemand sein Studium in der Regelstudienzeit abschließt und nicht bis fünfundreißig an der Uni herumchillt. Vielleicht ist eine gewisse oktroyierte Struktur manchmal gar nicht schlecht, bevor man Jahre mit Suchen vergeudet, um dann schließlich doch in das bewährte gesellschaftliche Muster zu verfallen. Ich bin mir sicher, dass bei unseren Folgegenerationen eine schnelle Berufswahl und frühe Familiengründungen wieder viel eher an der Tagesordnung stehen werden. Als ich vor fünf Jahren bei meinem zehnjährigen Abitreffen war, hatten gerade ‘mal sechs meiner ehemaligen Mitschüler eine eigene Familie. Es scheint, dass bei meiner Generation alles etwa um zehn Jahre verschoben ist. Eine Generation, bei der jeder möglichst lange ungebunden und unverbindlich durchs Leben gehen möchte. Am besten ohne viel Arbeit und ohne große Verantwortung. Von Generation X nun zur Generation Procrastination.
Nachdem David, mein Bassist unerwartet aus der Albumproduktion ausgestiegen ist und Matthias, mein Schlagzeuger mit seinem Studium zeitlich sehr eingebunden ist, werde ich die Songs zu meinem Album jetzt mit professionellen Studiomusikern aufnehmen. Nach gut zehn Jahren Vorproduktion geht es also nun Ende Juni wieder ins Studio. Wie heißt es immer so schön: Der Weg ist das Ziel. Trotzalledem freue ich mich darauf, endlich ein Ergebnis meiner jahrelangen Arbeit zu sehen, hinter dem ich dann hoffentlich auch zufrieden zurücktreten kann. Bei all der Erfüllung, die mir das Songschreiben gibt, ist es zugleich auch immer mein sensibelster Punkt gewesen. Auf die Frage, was ich eigentlich beruflich mache, komme ich bis heute noch ins Stottern. Auch als mein Vater mich bei unserem letzten Treffen fragte, was meine weiteren Pläne seien, sobald die Songs eingespielt sind, konnte ich ihm keine klare Antwort geben. In der Wissenschaft der neurolinguistischen Programmierung ist die Kernaussage, dass das, was man sprachlich nicht erfassen kann, nicht existiert. Oder um Wittgenstein zu zitieren: ‚Die Grenzen deiner Sprache sind die Grenzen deiner Welt.‘ Darin liegt sicherlich auch eine Erklärung dafür, warum ich über so lange Zeit von meiner Karriere als Musiker nur geträumt habe, aber nie wirklich bereit war, sie auch zu leben. Ich muss also noch lernen, mir klare und konkrete Ziele zu setzen. Das ist natürlich schwer, wenn man so ein großes Ego im Gepäck hat und einhergehend damit auch eine eher ängstliche Persönlichkeit. Rückblickend kann ich sagen, dass mir beim Songschreiben die Texte eigentlich immer viel wichtiger waren als die Musik. Etwas, das mir mein Astrologe schon vor Jahren sagte, als er meinte, das meine Bestimmung im Schreiben liegen würde, genauer gesagt im Schreiben von gesellschaftskritischer Satire. Je mehr ich mich nun selbst erkenne, umso mehr kann ich jetzt auch andere Bands beim Livespielen genießen. Einen dieser Momente hatte ich als ich letzte Woche beim Konzert einer belgischen Band war, die Musik im Stil von Johnny Cash macht.
Ich finde mich nun also immer mehr selbst und setze mich nicht mehr so unter Druck. Ich denke, das kann meiner Musik nur gut tun, die nach langen Jahren gefangen in dem Korsett meiner überzogenen Erwartungen nun endlich aufatmen und ihren verdienten Weg in die Welt finden kann.
Hier der YouTube Link zu der aktuellen Single ‚Icon‘ der belgischen Band ‚Daan‘:
http://www.youtube.com/watch?v=WjNUJSuV42k