Life Drags On

Nachdem in den letzten Monaten die Aufträge für Samsung immer weniger wurden, habe ich mich inzwischen nach einem neuen Job umgeschaut und bin nun ab April zweimal die Woche für Casio Digitalkameras im Media Markt Alexa im Einsatz. Der Bereich bleibt also der gleiche, nur der Hersteller hat sich geändert. Was als pragmatischer Promoter kein wirkliches Problem ist, solange das Geld stimmt. Wie so oft bei einem neuen Job, gibt es gewöhnlich eine zweitägige Schulung zum Produkt und dazu ein begleitendes Verkaufstraining. Die Schulung fand diesmal in Köln statt. Mit dem ICE ist man mittlerweile in knapp fünf Stunden da, was für mich als nicht besonders Bahn begeisterter Freund halbwegs erträglich war. Die Luft war wie üblich steril klimatisiert. Vorbei sind die Zeiten, in denen man einfach das Fenster herunterkurbeln und etwas frische Luft hereinlassen konnte. Stattdessen sitzt man jetzt wie in einem Flugzeug und wartet auf seine Ankunft, nur dass die Preise sich mittlerweile denen der Fluglinien angepasst haben, man aber länger braucht. Ich saß natürlich wieder mit dem Rücken in Fahrtrichtung, was alles andere als angenehm war, da mir in der Bahn eh immer sehr schnell schlecht wird. Lesen war also tabu. Da blieb dann also nur noch essen, aus dem Fenster starren oder schlafen. Ich entschied mich daraufhin für letzteres. Als ich nach fast zwei Stunden wieder aufwachte, stieg ein junges, hübsches Mädchen ein und setzte sich direkt zu mir. Lena, eine Psycholgiestudentin im zweiten Semester, die eigentlich aus Hannover kommt und aufgrund des deutschlandweiten hohen Numerus Klausus in Köln studiert. Wir kamen schnell ins Gespräch und ich war dankbar für die Ablenkung, da nun die noch verbleibenden drei Stunden Bahntortur gleich viel schneller vergingen. Wie so oft bei Psycholgiestudenten blieb der Small Talk aus und wir waren sofort dabei, die existentiellen Probleme der Menschen und der Welt zu diskutieren und zu analysieren. In Köln angekommen, machte ich mich dann gleich auf zum Hotel. Auf dem Weg dorthin ging es durch einen Park, in dem sich viele junge Leute in den ersten warmen Sonnenstrahlen tummelten und gestylt mit Designerjeans und teuren Lederschuhen auf dem Rasen Frisbee spielten.
Mein Zimmer teilte ich mir mit Steffen, einem sympathischen Rostocker, der sich später allerdings als monströser Schnarcher entpuppte. Nur leider hielt er es nicht für nötig, dass wenigstens zu erwähnen oder vielleicht die Agentur im vorab nach einem Einzelzimmer zu fragen. Da ich zur Zeit eh nicht viel Schlaf bekomme, lag ich nach einer kurzen Tiefschlafphase fast die komplette Nacht wach und hatte neben mir im Nachbarbett ein dauerschnarchendes Walross liegen, das in den Variationen der Schnarchtöne auf jeden Fall einen Preis verdient hätte. Meine ansonsten so bewährte Pfeiftechnik war leider vergebens und auch meine Ohropax waren in der Situation keine große Hilfe. Ich entschied mich daraufhin, ins Bad, genauer gesagt in die Badewanne, umzuziehen. Diese war in seiner Größe und seiner Gemütlichkeit natürlich keine wirkliche Alternative zu meinem kuscheligen Bett. Zumal die Schnarchgeräusche immer lauter wurden und so nun auch das letzte Refugium der Stille von meinem Mitbewohner übertönt wurde. Also ging es wieder zurück in die Höhle des schnaufenden Löwen. Die Wanderung sollte aber noch nicht vorüber sein. Insgesamt wechselte ich dann noch zweimal mein Schlaflager vom Bett in die Badewanne und wieder zurück und das in nur wenigen Stunden. Um fünf Uhr früh war dann auch meine letzte Geduld aufgebraucht und ich ging ‚runter in die Lobby, um meine E-Mails zu checken und etwas zu frühstücken. Von meinem kurzen erzwungenen Ausflug wieder zurück, erhoffte ich mir wenigstens noch ein paar Stunden Schlaf und lag kurz darauf wieder im Bett. Doch meine Tortur war immer noch nicht vorüber. So fing ich verzweifelt an, laut vor mich her zu sprechen. „Was für eine Strafe! Warum? Weil ich gestern wieder zu Internetclips masturbiert habe?“ In dem Moment riss Steffen seine Augen auf, guckte mich völlig entsetzt an und fragte: „Was hast du gerade gesagt?“ Der Leidensprozess war nun endlich zu Ende. Zwar nicht ohne Opfer, aber was ist schon die Pornoblöße für ein paar Stunden ungestörten Schlafes.
Am Abend des ersten Schulungstages ging es zur Go-Kart Bahn. Eine Sache, die ich schon immer einmal machen wollte. Im Endeffekt ist es eine Miniaturversion der Formel Eins. Alles etwas kleiner, aber mit den gleichen Regeln. Es gibt ein freies Training, gefolgt von der Qualifikation für die Startplätze und abschließend das Rennen. Man fährt mit abgasfreien, Benzin betriebenen, kleinen Autos mit Reifen aus Vollgummi und versucht, die mit alten Autoreifen vorgegebene Rennstrecke so schnell wie möglich zu absolvieren. Mir wurde natürlich erst ‚mal wieder schlecht, da die vielen Kurven doch sehr einer Serpentinenstraße ähnelten. Als Angst besetzter Hase mit einem eh schon sehr defensiven Fahrstil schaffte ich es auch konsequent den ganzen Abend über immer der Letzte zu sein, was mir aber wenigstens die Sympathien der Frauen einbrachte.
Meine Rückfahrt nach Berlin war leider nicht so amüsant. Neben mir saß ein dicklicher, nach süßer Seife riechender Versicherungs- oder Bankvertreter, der die ganze Fahrt über stumm irgendwelche Verträge in seinen Laptop eingab und mich nicht einmal begrüßte, als er sich in den Sitz neben mir quetschte. Das Publikum im restlichen Abteil faszinierte mich auch nicht wirklich, und ich war wieder ‚mal erschreckt wie langweilig die meisten Leute doch eigentlich sind. Ein Mittelmaß, das mir mittlerweile auch schon in Kreuzberg auffällt, das eigentlich auch nicht wirklich multitkulturell, sondern eher eine türkische Enklave mit ein paar Altpunks und hinzugezogenen Erstsemestlern ist, die in ihrer alternativen Individualität genauso uniform sind wie die hippen Mitte-People und sicherlich ebenso lang vor dem Spiegel stehen, bevor sie aus dem Haus gehen.
Es zieht mich also so langsam wieder ins Ausland. Ich plane daher im Herbst eine Ausbildung zum DaF (Deutsch-als-Fremdsprache) Lehrer zu machen. Zur Zeit bin ich aber noch mit den Aufnahmen zu meinem Album beschäftigt, was sich auch wieder länger hinzieht, als erwartet. Die Musik ist eben noch die letzte Bastion, die ich noch nicht bereit bin, für die eigentlich nie zu erreichende Perfektion aufzugeben.