Nach nun fast zwanzig Jahren intensiven Popmusikkonsums gibt es immer weniger Bands, die mich noch wirklich faszinieren. Als ich am Anfang des Jahrens einen Aufritt der amerikanischen Indie Pop Band Spoon bei der David Lettermann Show sah, war ich gleich gehookt. Ihre Musik ist ein Mischung aus Punk und klassischen Rock, wobei sie vor allem von der charakteristischen Stimme des Sängers Brit Daniels und dem treibenden, minimalistischen Arrangement getragen wird. Endlich ‚mal wieder eine Band, die einen eigenen Stil hat und bei der die Musikalität vor dem Look kommt. Uneitel und unpretentiös. Leider gibt es solche Bands immer weniger und wenn dann spielen sie nur selten in Deutschland. Amerikanische Independent Bands haben es da am schwersten, besonders wenn sie noch keinen internationalen Hit gelandet haben oder nicht in die Teeniefanbase Kategorie passen wie z.B. Jared Leto’s 30 Seconds to Mars. Zum Glück gibt es da zum Ausgleich noch die Billigflieger, die es einem ermöglichen, für ein Konzert auch in eine andere europäische Stadt zu reisen, ohne sich gleich finanziell zu verausgaben. So war ich nun vor zwei Tagen beim Spoon Konzert in London. Die Show war cool. Das O2 Empire war mit knapp vierhundert Leuten fast ausverkauft. Nach gut sechzehn Jahren Livespielen und sieben Studioalben für eine Indie Band sicherlich keine schlechte Bilanz, dennoch aber auch etwas ernüchternd, wenn ich bedenke, dass ein gemachter Popact wie Katey Perry mit gerade ‚mal zwei Veröffentlichungen im Gepäck vor mehr Publikum spielt. Das Set an dem Abend war kurzweilig und beinhaltete sogar ein Bläserensemble. Die Band gab sich dabei bescheiden und hatte bestehend aus drei angeleuchteten Leinwänden auch eine sehr einfache Bühnendekoration. Selbst die Merchandise Ecke war mit ein paar T-Shirts und der ein andere Vinylvariante ihrer Alben recht überschaubar. Ihr Motto war klar und überzeugte: Kunst statt Kommerz.
Hingeflogen nach London bin ich mit Ryan Air. Das irische Pendant zu EasyJet, welches mir mit seinen Grundfarben Gelb-Blau gleich viel sympathischer war als das penetrante Orange-Weiß von seinem Mitbewerber, bei dem ich immer das Gefühl habe, in einem Plastikflugzeug in Disneyland zu sitzen. Der gesamte Flug kostete mich inklusive aller Gebühren nur fünfundvierzig Euro. Allerdings entpuppte sich die anfangs so entspannte Reise schnell zu einer Kaffeefahrt, nur dass der psychologische Kaufdruck fehlte. Dafür wurde ich ständig aus meinem Schlaf gerissen, wann immer eine der Stewardessen mit ihrem Verkaufswagen meine Schulter rammte. An fing es mit dem Verkauf von Getränken und den gängigen Snacks, daraufhin folgten in getrennten Etappen Angebote für Zigaretten, Parfum, Bahntickets, Telefonkarten und Wohltätigkeitskalender. Angekommen am Flughafen Stanstead stieg ich gleich in den Expresszug, der direkt in das Londoner Businessviertel in der Liverpool Street fährt. Als ich mich dann zu Fuß auf in die City machte, hatte ich kurzeitig den Eindruck, ich bin in der Matrix gelandet. Scharen von uniformen, im schwarzen Businesslook gekleideten Menschen, die sich in Eile an mir vorbeidrängelten und während sie mich schubsten auch immer gleich ein mechanisches ‚Sorry‘ zur Hand hatten. Die kühle Herbstluft in der Stadt war nach dem Flug und der langen Bahnfahrt sehr angenehm und ich merkte, dass ich London trotz seiner Hektik doch sehr vermisst hatte. Nach ein paar gelaufenen U-Bahn Stationen entdeckte ich in Soho einen Laden für Comicsammler mit dem Namen ‚The Forbidden Planet‘. Geek Mekka. Er erinnerte mich an meine Jugend als masturbierender Teenager, in der ich über Jahre sämtliche Kinohefte mit Kim Basinger Artikeln gesammelt habe bis ich dann irgendwann die heilige Playboy Ausgabe mit ihr fand. Angefangen von Comicsonderausgaben bis zu Actionfiguren von Iron Man und einem nackten Barack Obama gab es in dem Geschäft alles, was das Nerdherz begehrte. Das muss wohl der ultimative Kick für das Ego eines Schauspielers sein: verewigt sein in Form einer originalgetreuen Plastikfigur. Begleitend zum neuen Film waren auch sämtliche Harry Potter Fanartikel vertreten und natürlich auch das volle Programm von Star Wars Erfinder George Lucas, der sicherlich immer noch jeden Abend zu Hause sitzt und seine Millionen zählt, während die Studiobosse, die ihm seiner Zeit die kompletten Merchandiserechte zu seinen Filmen abgetreten haben, sich heute noch dafür in den Arsch beißen.
Mein Hotelzimmer hat meinen bisherigen Rekord an engen Unterkünften gebrochen und ist jetzt mit fünf Quadratmetern absoluter Spitzenreiter und da ist das Bad mitgerechnet. Wie der Kellner im überteuerten Ferienresort zu Garfield sagen würde: „Was erwarten Sie denn für lumpige fünfzig Euro die Nacht?“ Fairerweise hätte man auf der Homepage vom Gästehaus ‚enge Kammer‘ anstelle von ‚Hotelzimmer‘ schreiben sollen. Aber das ist London. Da denke ich immer gern an den Bekannten von Harry, der in seiner Wohnung in London seine Küche untervermietet.
Mein Hotel war nur zwei Minuten Fußweg entfernt vom Club, gelegen in Shepherd’s Bush, einem Bezirk im Westen von London mit einem großen indischen und arabischen Bevölkerungsanteil. Mittags gab ich mir dann die ‚Fish und Chips‘ Kante in einem der ansäßigen Diners. Dieses war wie die meisten der Läden dort sehr spärlich eingerichtet und wirkte fast schon etwas abgeranzt. Nach einer Weile wurde mir klar, dass der arme Vibe vor allem durch die einfache Architektur zustandekommt. Abgesehen von der reichen Innenstadt ist London voll mit den zwei- bis dreistöckigen, dünnen Reihenhäuser, die im nichtsanierten Zustand schnell vergammelt aussehen. Das ist auch der große Unterschied zu den Häusern in Berliner Bezirken wie Kreuzberg und Neukölln, wo eben nach einem gewissen Qualitätsstandard Stein auf Stein gebaut wurde. Shepherd’s Bush gefiel mir ansonsten wirklich gut. Gerade weil es nicht die Hektik der City innehatte, dafür aber ein entspanntes, multikulturelles Flair. Den ganzen Tag über lief auf allen staatlichen und privaten Fernsehsendern Sondersendungen zu der gerade verkündeten Verlobung von Prinz William und Kate Middleton. Lange, ernsthafte Diskussionen darüber, welcher englische Designer ihr Kleid gestalten wird und in welcher Kirche sie heiraten werden. Die Tageszeitungen und Boulevardblätter hatten auch nur noch ein Thema. Für einige Momente dachte ich, ich wäre ins achtzehnte Jahrhundert zurückgereist, nur dass es da noch keine Flachbildschirme im HD Format gab.
Nach einem klassischen englischen Frühstück, bestehend aus aufgewärmten Dosenbohnen, pappigem Toast, zwei Spiegeleiern und einer Tasse schwarzen Tee machte ich mich am nächsten Morgen auf zum Flughafen. Beim Sicherheitscheck wurde ich erst ‚mal herausgeholt, da ich vergessen hatte, eine Wasserflasche aus meinem Handgepäck herauszunehmen, bevor es gescannt wurde. Die versiegelte Flasche wurde daraufhin weggeworfen und meine Tasche nach Sprengstoffresten durchsucht. Ich sah nicht ganz den Unterschied zwischen meiner im Supermarkt gekauften Plastikflasche und den Tonnen von Vittel Flaschen in den Flughafen eigenen Shops. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass die vorher alle nach flüssigem Sprengstoff untersucht worden waren, bevor sie in die Kühlregale kamen. Es war auf jeden Fall lustig zu sehen, dass jetzt, wo Russland als politischer Kontrahent ausgedient hat, die internationale Sicherheitspolitik weiterhin an ihrem diffusen Feindbild der Terroristen festhält. Und all das nur, weil die amerikanische Regierung ein paar ihrer Hochhäuser In New York in die Luft gesprengt hat, um ihre Ölimporte der nächsten Jahrzehnte zu sichern. Als die immer noch sehr ernst blickende Sicherheitsfrau meine harmlose Gap Tasche zum wiederholten Mal durchwühlte, lag mir eigentlich der Satz auf den Lippen: „Honey, haven’t they told you? 9-11 was just another American false flag operation.“
Hier ein Link zu einer Liveradiosession von Spoon mit ihrem Song ‚Got Nuffin‘:
http://www.youtube.com/watch?v=Mj8kHplpJyM