Diesmal hatte ich einen Einsatz im Media Markt Stralsund. Von Berlin aus ist man mit dem Zug in gut drei Stunden dort. Das Regionalexpressfahren kenne ich noch meinen Zeiten, in denen ich oft für den damaligen Pay-TV Anbieter Premiere (jetzt Sky) in Cottbus und Schwedt gearbeitet habe. Keine wirklich gemütliches Fahren. Ständig hält der Zug an irgendwelchen verlassenen und auf der Karte sicherlich schon nicht mehr existenten Dorfgemeinden. Aber das Nervigste ist der laute Signalton vor jeder Ansage. „Da, da, da, da, daaa! Nächster Halt: Groß Griesow.“ „Ja, who gives a fuck?“. Die Leute, die hier aussteigen wollen, wissen, dass hier wohnen und jeder andere, will eh woanders hin. Noch anstrengender ist aber die Abendfahrt. Da wird einem immer ein grelles Halogenlicht aufgezwungen und wenn ich dann freundlich frage, ob man das Licht auch dämmen oder wenigstens teilweise ausschalten kann, kommt die Antwort: „Es gibt auch Leute, die mögen es heller.“ „Ja, hell schon, aber nicht steril blendend, wo man man immer das Gefühl hat, dass gleich ein forensisches Team ins Zugabteil kommt, um DNS Abstriche zu machen.“ Während meiner Hinfahrt sprach mich ein Mann an, der mich aufgrund meines Kurzhaarschnitts und meiner New Balance Turnschuhe erst ‚mal in die rechte Ecke drückte. Als ich ihm daraufhin erklärte, dass ich nur mit den einheitlich hässlichen Turnschuhschnitten von Nike & Co nichts anfangen kann, kamen wir weiter ins Gespräch und erzählte er mir, dass Stralsund wie viele Städte in Mecklenburg-Vorpommern sehr mit der hohen Arbeitslosigkeit zu kämpfen hat, da die Werften kaum noch Aufträge bekommen und auch die mittelständischen Betriebe sehr unter der Rezession leiden. Dass dort das Geld nicht gerade an den Bäumen wächst, wurde mir klar, als ich in der Regel zwanzig Minuten auf eine Hundert Euro Kamera beriet.
Die meisten Leute, mit denen ich dort sprach, waren doch sehr einfach gekleidet und lächelten eigentlich kaum. Da hilft auch der Slogan des Supermarkts im Einkaufcenter nicht viel, der lautet: ‚Citti – der Markt der Lebensfreude‘. Was sicherlich auch verständlich ist, wenn das Einkommen bei zwei Drittel im bundesweiten Vergleich liegt, die Mieten und Grundkosten aber genauso hoch sind wie in den alten Bundesländern und man dann eigentlich nur noch beim Kauf von Textilien und Lebensmitteln sparen kann.
Auf dem Weg in die Stadt sah ich vom Zug aus viele kleine, heruntergewirtschaftete Schrebergärten, die in ihrer Verstreutheit wirkten wie Vorstadtslums. Mein Hotel selber lag im Neubauviertel von Stralsund, inmitten vergammelter 60er Jahre Plattenbauten und ein paar schnell hochgezogenen Einkaufscentern. Im Endeffekt noch Relikte aus der sozialistischen Planwirtschaft und ein Beleg dafür, dass seit der Vereinigung die Infrastruktur dort nicht wirklich verändert wurde. Vieles erinnerte mich von der Architektur noch sehr an meine Kindheit in Berlin-Friedrichshain. „Hm, was soll ich heute machen? Auf dem Spielplatz in eine der gemütlichen Betonröhren krabbeln oder lieber auf eines der verrosteten Klettergerüste steigen?“ Es schien fast so, als ob in Stralsund die Zeit vor vierzig Jahren stehengeblieben ist. Mein Hotel sah in seiner funktionalen Bauweise und seinem schlichten Interieur eher aus wie ein Arbeiterwohlfahrtsheim, zumal die Rezeption auch nur vormittags besetzt war. Außer ein paar älteren Herrschaften war ich während meines gesamten Aufenthalts der einzige Gast. Daher war es besonders komisch, dass ich immer in den obersten Stock fahren musste und dort das letzte Zimmer im Gang hatte. Umso unheimlicher war es dann auch abends mit dem Lastenaufzug ähnlichen, knarrenden Fahrstuhl in die leere Lobby zu fahren, um da per W-Lan meine E-Mails abzurufen. Als sich da immer die Türen öffneten, hatte ich das Gefühl, dass mich gleich jemand im ‚Shining‘ Stil mit einer Axt durch die Gänge jagt. Während meiner drei Tage in der Fotoabteilung war der Beratungsbedarf groß. Man merkte schnell, dass Mecklenburg schon eine lange Zeit von Investoren vernachlässigt wurde. Auch wenn es nur in Form einer Promotion für Samsung Digitalkameras ist.