Meine Alpina Weiß Tour ist inzwischen vorbei. Der Job war nicht wirklich die große Herausforderung, aber ich bin so wieder mit verschiedenen Menschen in Berührung gekommen und konnte auch wieder viele meiner Vorurteile bestätigen. Die zwei prägendsten Erlebnisse hatte ich in Grimma und Dresden. In Grimma kam ich abends in einem rustikal eingerichteten Hotel an, in dem mich zwei Damen in ihren schick-biederen Sachsen-Dirndl empfingen, von denen mich die eine der beiden die ganze Zeit anguckte, als ob ich ein Außerirdischer wäre. Während ich meinen Zimmerschlüssel entgegennahm, tanzte eine Gruppe alter, dicker Männer mit schwarzen Plastiksonnenbrillen und freiem Oberkörper zum Bloodhound Gang Song The Bad Touch bertrunken durchs Foyer. Parallel dazu checkte noch eine Rockergang names Vulkanier ein, der Name, der auch bei allen liebevoll in ihre schwarzen Lederjacken eingestickt war. Also noch eine Gruppe von alten, bärtigen Männern, deren Bäuche in ihrer Relation zu ihren restlichen Körpern mich an die Lucky Luke Hefte aus meiner Kindheit erinnerten. Wir waren also eine ziemlich illustre Runde an dem Abend und mir wurde sofort klar, dass ich in Grimma wohl nicht meinen Lebensabend verbringen werde.
Eine Woche später ging es nach Dresden. Um noch einmal die Reservierung und die Kostenübernahme meiner Agentur zu checken, rief ich einen Tag vorher beim Hotel an. Es war ein Ableger der deutschlandweiten B&B Kette und hatte erst vor ein paar Wochen inmitten mehrerer etablierter Businesshotels neu eröffnet. Man sollte also davon ausgehen, dass die Angestellten dort umso mehr um die Freundlichkeit und den Service gegenüber ihren Hotelgästen bemüht sein sollten. Das Telefonat lief ungefähr so: “Guten Tag, meine Name ist Kuhnert. Meine Agentur hat für mich morgen Abend Hotelzimmer bei Ihnen reserviert. Da ich wahrscheinlich erst abends um 23 Uhr bei Ihnen eintreffen werde, wollte ich fragen, ob um diese Uhrzeit noch Ihre Rezeption besetzt ist.” Daraufhin die Antwort im charmant sächsischen Dialekt und belehrenden Unterton. “Nein, die ist nur bis 22 Uhr besetzt!” “Achso … und wie komme ich dann rein?” “Na, durch denn Selbst-Check-In!” “Verstehe und wie funktioniert der?” “Na, das sehen sie dann schon.” Pause. “Können sie mir nicht einfach sagen, was genau ich dazu brauche?!” “Na, ihre Reservierungsnummer!” “Ja, die hab‘ ich nicht, da meine Agentur das Zimmer für mich gebucht hat.” “Achso, dann bekommen sie die noch von uns.” “Brauche ich denn dann noch etwas?” “Ja, klar. Natürlich ihre Visakartenummer!” “Ja, die hab‘ ich auch nicht, da meine Agentur für mich das Zimmer gebucht und bezahlt hat.” “Achso, na dann rufen wir sehen gleich noch ‚mal an und geben Ihnen Ihre Reservierungsnummer und Ihren Eingangscode durch.”
Am Morgen auf dem Weg zum Frühstücksbüffet, sah ich dann nun endlich auch ‚mal die nette Dame an der Rezeption, die gerade wieder dabei war, in ihrer genervten Art, einen Kunden abzuwimmeln. “Nein, der Check-In ist immer erst ab vierzehn Uhr. Unsere Gäste brauchen die Zeit. Sie können nicht eher herkommen. Verstehen Sie mich nicht?” Ich verstand sie akustisch sehr gut, nur nicht, warum man jemand wie diese unerträglich anstrengende Frau an der Rezeption einstellen konnte. Das Abenteuer war aber noch nicht zu Ende. Weiter ging es zur Neueröffnung des Billigbaumarktes Domäne in der alten Dresdner Markthalle. Ich baute da wie immer meine Torwand auf einer freien Fläche auf dem Parkplatz vor dem Markt auf. Die erste halbe Stunde verstrich, ohne dass sich irgendjemand dafür interessierte. Die meisten guckten nur skeptisch oder fragten maulfaul “Kostet dis woas?” “Nein, das kostet nichts! Das ist ein Westunternehmen.” Den Satz verkniff ich mir dann aber, um die nicht eh schon leicht angespannte Stimmung weiter zu strapazieren. Nach knapp einer Stunde fragte ein junges Mädchen, ob sie ‚mal schießen dürfte. Bevor sie überhaupt anfing, den ersten Schuss zu machen, kam auf einmal ein alter Mann, Kategorie frustrierter Rentner, auf mich zu, der mich schon eine ganze Weile mit seiner grimmigen Mimik beobachtet hatte und warf mir vor, mit den Bällen auf sein Auto zu schießen. Was völlig absurd war, da die Aktion gerade erst begonnen hatte. Als er merkte, dass ich ihn in seinen Anschuldigen und Schimpftiraden nicht ernst nahm, stieg er wütend in sein Auto und fuhr weg.
Ein anderen meiner Einsätze hatte ich in Braunschweig. Keine so wirklich spannende Stadt. Mein Hotel lag direkt neben dem Gefängnis, daher war es umso lustiger, zu sehen wie die Kinder der Hotelbesitzerin sich gegenseitig in den Keller sperrten und als Wärter und Insassen das Gefängnisleben nachspielten. Dort angekommen ging ich dann erst ‚mal auf Empehlung des Hotels in eine Kneipe mit gutbürgerliche Küche um die Ecke. Von allen auf der Karte stehenden Gerichten waren eigentlich alle mit Fleisch, was mir als Vegetarier die Auswahl natürlich erleichterte, aber auch nicht wirklich begeisterte. Ich entschied mich daraufhin für Spiegeleier mit Bratkartoffeln und musste dann allerdings feststellen, dass auch diese mit Speck und Schinken angebraten waren. Außer mir und dem Kellner war niemand sonst im Lokal. Da saß ich nun an einem kleinen Holztisch mit gehäkelter Tischdecke, rechts neben mir an der Fensterfront eine riesige Sammlung von Gartenzwergen, die mich die ganze Zeit grinsend anstarrten. An der Wand waren eingerahmte, alte D-Markscheine und Schilder mit den üblichen Trinksprüchen zu sehen. Während ich geduldig auf mein Essen wartete, lief im Hintergrund ein Radiosender mit deutscher Schlagermusik, welcher ich bis jetzt noch nie so geballt ausgesetzt gewesen war. Jedes Lied klang penetrant gleich. Plakative Texte mit einer langweiligen Melodie eingebettet in einem eintönigen Keyboardkomplettarrangement. Es war auf jeden Fall ein hart verdientes Mittagessen und mental ein langer Weg zurück in mein Hotelzimmer.