These Are Hard Times

Kreuzberg ist weiterhin cool. Ich habe nun auch das erste Mal den Karneval der Kulturen live in der Nachbarschaft miterleben können und jetzt erst festgestellt, dass der Umzug nicht nur auf den Blücherplatz begrenzt ist, sondern sich über die Urbanstraße, entlang der Hasenheide bis hin zur Gneisenaustraße zieht. Soviel zu Leaving the Comfort Zone. Das ist das Schöne, wenn man ab und zu ‚mal seine Wohnung verläßt. Man entdeckt immer wieder Neues. Die Parade selber war nicht besonders spannend. Mittlerweile sind es über einhundertvierzig Wagen, die sich nicht groß voneinander unterschieden. Es wirkte fast so, dass sich inzwischen jeder mit seinen Trinkkumpels seinen eigenen Wagen mieten kann und bei schlechtem, aufgedrehten Techno seine fünfzehn gefühlte Minuten Aufmerksamkeit bekommt. Ansonsten war die Urbanstraße gepflastert mit improvisierten Trinkständen, wo sich der ein und andere clevere Ladenbesitzer einen dicken Euro dazuverdienen konnte. Die Stände am Blücherplatz hingegen sind schon sehr kommerzialisiert. Bratwurststände und Softeisautomaten wirken da dann doch etwas deplaziert. Es sei denn, man sieht diese als eine Art DDR Relikt und Subkultur des verlorenen Ostens. Von den ganzen Kaufständen ‚mal ganz abgesehen, die man eh kaum wahrnimmt, wenn man wie bei einer Massendemonstration die schmalen Wege mitgeschleift wird. Ich habe dieses Jahr nur die afrikanische Grillfront vermisst, die ihr Steaks immer total schwarz grillen und deren Geruch ich meistens schon wahrnehme, wenn ich aus dem U-Bahnhof komme. Dafür gab es aber wie immer die Stand-Up Comedy Einlagen der holländischen Blumenverkäufer. Die sind der absolute Hammer und schon längst überfällig für eine eigene Show in Las Vegas. „Und jetzt kommt ‚mal ‚was ganz besonders, eine Original Yukka Palme, die Sie eigentlich nie in einem normalen Blumenladen bekommen. Es sei denn, Sie kennen den Besitzer persönlich. Und wenn, dann kostet die mindestens €50,-. So hier und jetzt nicht €40, nicht €30,-, nein €25,-. Dazu gibt’s noch zwei Orchideen, die sonst allein €5,- kosten. So, alles zusammen €25,- … und weg damit!“ Das beste am Karneval der Kulturen ist allerdings die Party danach. Diesmal war die gesamte Gneisenaustraße bis hoch zur Yorkstraße gesperrt. Überall rockten Leute ausgelassen zu krassen Killerbässen vor Haustüren, Toreinfahrten und Läden. Es scheint doch, dass die Berliner ihre Love Parade vermissen.
Nun bin ich wieder zurück in meiner täglichen Routine und weiterhin bemüht meine Rechnungen pünktlich zu bezahlen. Die Zahlungsmoral meines Schneedienstunternehmens lässt auch zu wünschen übrig. Mittlerweile gehen sie schon gar nicht mehr ans Telefon, wenn ich anrufe und wenn dann kommt immer der Klassiker „Ich frag‘ noch ‚mal nach, aber das Geld müsste eigentlich schon ‚raus sein.“ Dann denke ich immer: „Dude, dir gehört der Laden und du machst die Buchhaltung. Wen willst du denn da fragen?“ Dazu hat Samsung vor kurzem die Promotionagentur gewechselt und ich kann jetzt meine Rechnungen nicht mehr an meine kleine Familienagentur stellen, sondern bin zu einer Nummer im System eines europäischen Riesenunternehmens degradiert worden. Wenn ich früher bei Fragen immer direkt mit dem Chef verbunden wurde, habe ich jetzt immer eine total genervte Frau am Aparat, die schon aus Prinzip immer schlecht gelaunt ist. Ich bin mir nicht sicher, ob das nur eine Masche ist, um zusätzliche Arbeit abzuwimmeln oder ob sie einfach nur frustriert ist. Dafür liegt dann das Zahlungsziel bei vier Wochen, wobei oft nach drei Wochen eine mit einer Diddl-Maus-Poesiealbum-Handschrift korrigierte Rechnung zurückkommt mit der Bitte, doch nicht ‚Datum‘, sondern ‚Rechnungsdatum‘ auf den Briefkopf zu schreiben und hinter die letzte, nach der Mehrwersteuer kommende, fettgedruckte Summe noch ‚Brutto‘ zu schreiben. „Honey, ‚was soll das denn sonst sein? Tara vielleicht?!“
Die Zeiten werden härter. Die Euroumstellung wird mir nun auch immer mehr bewusst. Zuerst habe ich das immer nur auf die Gastronomie und den Einzelhandel bezogen. Denn wo hätte man vor zehn Jahren bei einem Take-Away Coffeeshop für eine heiße Schokolade mit Sahne satte sieben Mark bezahlt? Am Londoner Flughafen vielleicht, aber in einer Querstraße irgendwo in Charlottenburg? Es hat sich also alles verdoppelt. Nur meine Honorare nicht. Wenn ich nicht noch mein lukratives Ebaygeschäft am Laufen hätte, würde ich wohl nach Asien oder Afrika auswandern oder alternativ täglich in eine große Tüte kotzen. Oder einfach mehr arbeiten. Aber das liegt nicht so im Naturell eines chillenden Hasen.