Illusions

In den letzten Tagen war mir Bristol wohl gesonnen. Fast jeden Tag schien die Sonne und wir hatten immernoch im Schnitt zwanzig Grad. In den Parks und in der City wurden Klaviere mit dem Zeichen ‚Play Me‘ aufgestellt. So sah ich nun überall Leute musizieren, ob nun allein oder im Ensemble. Es war eine sehr angenehme Stimmung in der Stadt. Die Menschen waren entspannt und ausgelassen, sicherlich auch weil sich die meisten schon auf einen langen, verregneten Herbst eingestellt hatten. Nichtsdstotrotz war die Zeit dort vorüber. Es war ein gutes Jahr. Zwar zum Teil sehr einsam und anstrengend, dafür aber auch produktiv und lehrreich. Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass ein längerer Auslandsaufenthalt nicht unbedingt wegen der vielen, neuen Erfahrungen gut für die persönliche Entwicklung ist, sondern viel eher, weil man aus seinem Vertrauten herauskommt und die Einsamkeit zu spüren bekommt und so die Dinge, die man zu Hause hat und oft für selbstverständlich hält, mehr zu schätzen lernt. Die Stimmung in der WG war mittlerweile sogar richtig gut. Mit Kathrina hatte ich mein erstes langes, offenes Gespräch. Ich weiß nicht ganz, ob es aus Verzweiflung war oder weil sie nach zwölf Monaten gemerkt hatte, dass ich doch nicht ganz unsympathisch bin. Der Aufhänger war, dass sie vor ein paar Wochen ein polnisches Medium aus New York im Supermarkt getroffen hatte, die ihr gesagt hatte, dass laut Nostradamus in drei Jahren die Welt untergehen würde. Ganz genau habe ich die Untergangstheorie nicht verstanden. Es hat auf jeden Fall etwas mit den Planeten und der Sonne zu tun. Auf jeden Fall war Sim ganz schön genervt, weil sie daraufhin fast jeden Tag in sein Zimmer kam und ihn fragte: “Don’t you think the sun looks much bigger today than usual?” Etwas, das ich auch vermissen werde ist der britische Humor. Am letzten Tag war ich in einer Postfiliale, in dem man immer lange anstehen muss und zwar viel länger als in allen anderen Filialen. Nachdem ich fast eine halbe Stunde gewartet hatte, zeigte eine Frau vor mir nur auf ein Schild vor den Schaltern, auf dem stand „Please wait here!“ und auf dem das Wort „Wait“ mehrfach mit einem dicken Filzstift unterstrichen war.
Nun bin ich schon seit drei Wochen zurück in der Stadt der dicken, gemütlichen Hasen und genieße es wirklich wieder hier sein. Reisen ist schön, nach Hausekommen aber auch. Also auswandern könnte ich wohl nicht, dafür ist mein Bezug zu Deutschland zu groß. Vor allem die Sprache hat mir gefehlt. Es ist so entpannend, sich endlich einmal wieder in allen Nuancen auszudrücken und nicht immer nur verzweifelt nach Worten zu ringen. Trotz aller Entspannung zieht es mich aber auch schon wieder ins Ausland. Besonders wenn ich am Abend bei ‚Aldi‘ bin und dort wieder alle um die Wette hamstern. Diese Momente habe ich nicht gerade vermisst. Die frustrierten, gesättigten Gesichter, die sich wieder aufregen, weil noch keine zweite Kasse aufgemacht wurde. Sie könnten ja zu spät vor den Fernseher kommen und einen Werbebreak bei RTL 2 verpassen. Die Leben ist schon hart. Besonders in Deutschland.
Mein Songwriting Workshop steht nun auch so mittlerweile, obwohl mir die Leute nicht gerade die Bude einrennen. Vielleicht ist die Nische doch zu speziell. Auf jeden Fall bin ich froh, endlich eine Alternative zu meinen Promotionjobs gefunden zu haben. Außerdem fasst der Workshop mein Wissen und meine Erfahrungen der letzten Jahre zusammen, in denen ich mir vieles mühsam selbst erarbeitet habe. Es ist in etwa wie eine Diplomarbeit, die den Abschluss eines langen Studiums darstellt. Mir wird inzwischen klar, dass ich mir über viele Jahre ganz schön die Tasche gelogen haben. Mit meinem gechillten Halbtagsjob im Media Markt, in dem ich durch meine Rolle des Künstlers und Studenten inmitten der ganzen hauptberuflichen Verkäufer immer unantastbar war. Von den Jahren, in denen ich fest geglaubt habe, Lottomillionär zu werden, nur weil mir ein Schweizer Medium regelmäßig meine „ganz persönlichen Glückzahlen“ zukommen ließ, einmal ganz abgesehen. Sie war von meiner Bestimmung so überzeugt, dass sie mir auch immer nur den Unkostenbeitrag von schlappen fünfzig Euro pro Brief berechnete. Später habe ich dann herausbekommen, dass die vorgedruckten Briefe von irgendwelchen Hausfrauen in Callcentern in Deutschland verteilt, verfasst und versandt wurden. Wenigstens kam ich danach ich etwas mehr auf den Boden und war davon überzeugt, nun stattdessen mit meinem Debutalbum Millionär zu werden.