Vor zwei Tagen war ich zum ersten Mal in einem indischen Kino. Nach dem grauslichen Fernsehprogramm, habe ich mich allerdings bisher noch nicht in einen Bollywood Film getraut. Die Poster sehen wirklich lustig aus, aber ganze vier volle Stunden eine Tanz- und Liebesschnulze auf Hindi zu ertragen, ist doch etwas anderes. Als Land der Gurus und des Ayurveda ist Indien schon immer der Inbegriff für Meditation und Selbstheilung gewesen. Dass das allerdings bis ins Marketing geht, war mir neu. „Experience the healing touch of cinema.“ stand auf dem Programmheft. Vor dem Kino selber stand wieder das übliche Security Aufgebot. Metalldetektor inklusive. Ich hatte das Gefühl, ich war bei einer Politikveranstaltung im Gazastreifen, aber nicht bei der Spätvorstellung von Harry Potter. Die Werbung ist überzogen und langweilig wie auch bei uns, nur dass unter jedem Clip Warnhinweise stehen wie „Don’t try this at home. The stunts are being performed are done by trained professionals in a highly secured environment.“ Oder so ähnlich. Außerdem wird vor jedem Spot ein rechtliches Zertifikat eingeblendet, das belegt, dass der Spot jugendfrei ist. So etwas nimmt natürlich ein wenig den Traumfaktor. Aber zum Glück war es nur der Werbeblock. Das Kino war ansonsten super modern. Breite, bequeme Sitze und Dolby Digital Sound. Nach dem Ende der Vorstellung bin ich wieder zurück ins YMCA. Mittlerweile war es zwei Uhr früh und die Angestellten von der Rezeption schliefen auf den Empfangssofas am Eingang.
Nachdem das Hämmern unterhalb meines Zimmers am nächsten Tag wieder angefangen hatte und ich daher den ganzen Tag mein Zimmer mied, habe ich schon eher aus meinem Hotel ausgecheckt. Zu hören wie ungelernte Teenager von 7 Uhr morgens bis 8 Uhr abends mit Hammer und Meißel eine Marmorwand aufreißen, um eine defekte Wasserleitung zu reparieren, ist alles andere als Erholung. Ein Königreich für einen Presslufthammer. Please! Ich gab daraufhin gleich dem Hotel Manager Bescheid, um mein vorausgezahltes Geld wiedererstattet zu bekommen. Insgesamt wurde ich noch an zwei andere Personen verwiesen, dem Reservation Manager und dem Kassierer, die mir alle versicherten, dass ich mein Geld am Morgen des Check-Outs wiederbekäme. Natürlich hatte der Concierge am nächsten Morgen keine Ahnung, wovon ich sprach und es dauerte über eine halbe Stunde bis er mir endlich mein Geld auszahlte. Das nervt mich hier. Für jeden Scheiß gibt es eine Quittung, aber wenn man dann wirklich einen Service braucht, ist er nicht da. Es ist so als ob Kinder, die „große, weite Business Welt“ spielen. Und das ist nur ein Beispiel. Wieviele Nachrichten mein indischer Freund Sim bei den Angestellten an der Rezeption hinterlassen hat, die mich aber nie erreicht haben, habe ich längst verdrängt.
Danach ging es gleich mit einer Moped Rickshah zum Bahnhof. Leider hatte ich das Geld nicht passend und bekam so auch ich kein Wechselgeld zurück. Das ist auch ein Mysterium hier. Rickshahfahrer haben nie Wechselgeld. Auch wenn es noch so klein ist. Ich habe noch nicht herausbekommen, ob das nur ein gewiefter Trick ist, um mehr Geld zu machen oder ob sie in ihrer Rickshah eine stählerne Spardose eingebaut haben, die sich nur einmal monatlich mit einem Zweitschlüssel öffnen lässt.
Am Hauptbahnhof angekommen, wurde ich auch gleich wieder belagert und zugetextet. „Do you need a taxi, Sir?“ „No, thank you. I’m fine.“ „Where are you going? Agra? Where are you going? Where are you going?“ Als ich daraufhin antwortete: „That’s none of you business, my friend.“ wurde er ausfallend und fing an mich zu beschimpfen. Die Geduldsprobe sollte aber noch nicht enden. Denn am Gleis angekommen, kam auf einmal jemand auf mich zu und forderte mich auf, ihm mein Ticket zu geben. Als ich ihm daraufhin meine ausgedruckte Online Reservierung zeigte, meinte er, ich brauchte einen Stempel vom Bahnhofsbüro, ansonsten wäre das Ticket ungültig. Komischerweise war es zuvor nie ein Problem gewesen. Als ich ihm das mit etwas genervter Stimme klar machte, wurde auch er laut und ausfallend mir gegenüber.
Mit dem Zug ging es wieder nach Jaipur, um die letzten Tage gemütlich mit frischem Obstsalat und Honig Lassi auf der Dachterasse vom ‚Pearl Palace‘ Hotel ausklingen zu lassen. Leider war es schon komplett ausgebucht, also beschloss ich wieder zurück in den Norden zu reisen, um noch ein paar Städte zu sehen, in denen ich noch nicht war und mit der Hoffnung Ruth und Ella aus Tel Aviv wiederzutreffen, mit denen ich am Abend zuvor ausgegangen war.
Da kein Zug mehr am gleichen Tag zurückfuhr, habe ich kurzerhand ein Busticket gebucht. Ich wußte da allerdings noch nicht, dass die Fahrt zum absoluten Höllentrip werden würde. Ursprünglich wollte ich direkt von Jaipur nach Amritsar fahren. Das wären fünfzehn Stunden Non-Stop gewesen und ich hätte es nur im Delirium überleben können. Eingepfercht mit über vierzig Menschen in einem kleinen Bus. Keine Beinfreiheit, keine Klimatisierung, aber das Schlimmste war das permanente, penetrante laute Hupen des Busfahrers die gesamte Fahrt über. So konnte ich auch nicht schlafen, da ich entweder durch ein scharfes Bremsen, ein lautes Hupen, durch meine schmerzenden Knie oder durch meinen am Stahlrahmen des Innenfensters aufschlagenden Kopf geweckt wurde. Zudem hielt der Bus alle dreißig Minuten an kleineren Haltestellen und kam daher nur sehr langsam voran. Sechs Stunden für weniger als dreihundert Kilometer und das war nur nach Delhi, wo ich dann vorzeitig ausgestiegen bin. Was für eine Tortur, vergleichbar mit einer Fahrt auf einer Galeere, bei der das Hupen des Busfahrers die Peitschenhiebe des Aufsehers ersetzen. Neben meinem Non-Stop Flug nach Melbourne und dem Eselreiten als Dreijähriger in Bulgarien, bei dem ein dicker Junge mit seinem Steigbügel über eine Stunde an meinem Bein gescheuert hatte, war das bis jetzt mit meine schlimmste Reiseerfahrung.
Delhi wirkte abends wie ein Moloch. Ich fühlte mich wie bei Blade Runner oder wie Neo, der gerade aus der Matrix gekommen ist. Die Straßen war dreckig, heruntergekommen und eingehüllt in einen Staubteppich. Es gab kaum Licht. Alles war wie verschlungen in einem grauen Dunst. Ich kam mir das erste Mal etwas verloren und einsam vor in der großen, düsteren, indischen Welt. Dunkelheit hat schon etwas bedrückendes. Während der Fahrt auf der Autobahn nach Delhi sah man eigentlich nur riesige, beladene LKWs. Der Unterschied zu Deutschland ist nur, dass hier anscheinend jeder einen Führerschein bekommt. Fast alle LKW Fahrer sahen aus, als wären sie unter achtzehn und der Fahrstil war auch dementsprechend. Die wenigsten blieben in der Spur. Das war sicherlich auch ein Grund, warum ich meine Augen während der gesamten Fahrt krampfhaft offenhielt.