Es ist wieder einmal ein langer, regnerischer Samstagabend hier im milden Bristolien. Das schreit doch nach einem Newsletter. Nach knapp vier Monaten habe ich mir nun auch einmal die Mühe gemacht, Bristol bei Wikipedia nachzuschlagen und mir ist aufgefallen, dass die Stadt nicht nur wegen seiner großen Musikszene bekannt ist. Hier haben fast alle englischen, namenhaften Schauspieler studiert, angefangen von Cary Grant, Gene Wilder, Patrick Stewart, Pete Postlethwaite, Greta Scacchi, Jeremy Irons, Miranda Richardson, Daniel Day-Lewis, Hugo Weaving, John Cleese bis hin zu Matt Lucas und David Walliams (Little Britain) und Simon Pegg und Nick Frost (Shaun of the Dead, Hot Fuzz). Simon Pegg war an der University of Bristol und hat seinen Bachelor in Theatre and Film Studies gemacht. Außerdem bei Debenhams (englische Kaufhauskette) in der Herrenabteilung gearbeitet. Genau wie Jay Bond (sein eigentlicher Name ist James Bond), einer der begabtesten in unserem Kurs. Was aus den Studenten geworden ist, die als Customer Adviser gearbeitet haben, ist leider nicht bekannt. Nach langem Überlegen bin ich nun doch nicht umgezogen. Das Zimmer, das mir mein Landlord angeboten hat, ist ziemlich weit in der Pampa, fern ab von jeglichen Einkaufsmöglichkeiten und zudem auch in einer ziemlich poshen Gegend. Das mag ich gerade an Fishponds, dass es eben gemischt ist und nicht getrennt. Oft weiß man die Dinge, die man hat, erst zu schätzen, wenn man nach Veränderung sucht. Wie schon Massive Attack auf ihrem Debutalbum singen „Just be thankful for what you’ve got.“ Ich muss mich zwar jetzt irgendwie mit dem schweigenden Polish couple auseinandersetzen, aber dafür ist immerhin Sim, mein treuer, indischer Wegbegleiter am Start. Der als doppelter Löwe-Drache auf jeden Fall immer gute Stimmung ins Haus bringt und meine sensible Hasenseele aufbaut. Sim kommt mich übrigens Ende März für ein paar Tage in Berlin besuchen. Das Visum ist schon genehmigt. Das war allerdings ein ganz schöner Akt. Er brauchte eine formelle Einladung von mir, eine Kopie meines Ausweises, musste mehrere Bewerbungsbögen mit Personalien ausfüllen, aktuelle Passfotos bringen, Einkommensnachweise der letzten zwei Jahre vorzeigen, eine Reiseversicherung abschließen und dafür extra nach London zur deutschen Botschaft fahren und das alles nur wegen eines Kurztrips von fünf Tagen. Die freundlich pedantische Bearbeiterin wollte ihm dann anfangs das Visum verweigern, weil die Hintergrundfarbe der Passfotos nicht korrekt war. Soviel zur deutschen Bürokratie oder vielleicht besser zu frustrierten Frauen über fünfzig, die den Job in der Bibliothek nicht bekommen haben. Als stolzer Sikh nimmt er dann auch kein Blatt vor den Mund und sagte daraufhin zu ihr: „What do you want from me, bitch? I’ve brought you everything that is required.“ Sie antwortete dann nur: „Please Sir, do not use that kind of language in my presence.“ Da wurde mir erst klar wie previligiert ich als EU-Bürger bin.
Die erste Uniwoche ist nun auch schon wieder um und ich merke wie sehr ich die Struktur vermisst habe und ich eigentlich ein ziemlich fauler Sack bin. Der Unterricht ist eine große Motivation und Inspiration zugleich. Ich weiß jetzt schon, dass ich meine Kommilitonen vermissen werde. Besonders jetzt, wo doch alle immer mehr aus sich herausgehen und der Kurs mehr und mehr zusammenwächst. Klar, gibt es weiterhin die Alphatier Konkurrenzkämpfe, aber so wird es wenigstens nicht langweilig. Meine Tage sind nun also wieder gefüllt. Die Abende haben sich allerdings nicht groß verändert. Wenn ich nicht gerade zu einer der Open Mike Sessions gehe, bin ich zu Hause und gucke Filme. Viele im Kurs gehen regelmäßig zu Drum ’n Bass Parties oder geben sich im Pub die Kante. Was für mich nicht so spannend ist. Besonders die House Parties, die um 1 Uhr beginnen und man dann bei stickiger Luft und grellem Licht stundenlang nur eine superlaute Bassdrum hört, keinen Bass, keine Melodie und keinen Gesang, nur ein ein monotones DUM, DUM, DUM. Ich glaube, man kann diese tumbe Musik auch nur unter Drogen ertragen. Kein Wunder, dass hier fast jeder mit Anfang zwanzig schon allesmögliche ausprobiert hat. Angefangen von Weed, Mushrooms, Acid bis hin zu Speed, Kokaine und MDMA (ein leichtere Form von Ecstasy). Es ist schon eine sehr masochistische Zeit, in der wir leben. Wo Leute ihre freie Zeit damit verbringen, sich selbst zu peinigen und ihren Körper auszubeuten. Das Absurde ist, dass die meisten denken, sie wären cool, wenn sie sich jeden Abend vollsaufen und zudrönen.